ISaR Projekt

Inclusive Services and Rehabilitation

Virtuelles Kompetenzzentrum zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit einer Sehbeeinträchtigung

Mitmachen

Kooperationen
Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW
Lea Tests
Pro Vision
Provikit-App
Förderer
Technische Universität Dortmund
Heidehof-Stiftung

Erfahrungsberichte und Berichte

Hier stellen wir Erfahrungsberichte von Eltern, Schüler*innen, Lehrer*innen zur Verfügung. Wenn Sie Interesse haben andere an Ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen, wenden Sie sich an uns - wir veröffentlichen Ihre Erfahrungen gerne an dieser Stelle.

1. Die Liste zum schulischen Werdegang - Anregungen für Erfahrungsberichte

Erfahrungsbericht: Liste zur Beschreibung des schulischen Werdegangs

Die Liste ist nur ein Vorschlag. Es können einzelne Punkte weggelassen oder hinzugefügt werden. Der Erfahrungsbericht ist anonym. Bitte nennen Sie keine Namen von Personen, Schulen oder Städten.


Alter/Beruf/Arbeitsstelle

Familienstand

Sehbeeinträchtigung/ Zeit des Auftretens

Umgang mit der Sehbeeinträchtigung

Akzeptanz der Beteiligten

Schulischer Werdegang/ Probleme in der Schule, in der Klasse

Bevorzugte Gegenstände/ Interessen

Pädagogische Maßnahmen

Mitwirkung in den Entscheidungsprozessen

Rolle aller Beteiligten (Familien/ Lehrer:innen etc.)

Ausgleich/ Assistenz

Benutzte Hilfsmittel

Kulturtechniken

Meinung über Integration/ Inklusion/Gesetzliche Rahmenbedingungen

Vorschläge zur Unterstützung von Schüler:innen in der Inklusion

2. Erfahrungbericht einer Schülerin - "Mein erster Tag auf einer integrativen Schule"

Aurorin: Yvonne Ramm

"Sechs Jahre lang besuchte ich die Blindenschule in Hannover. Danach wechselte ich auf ein integratives Gymnasium in Hamburg.

Die Schule war eine 'normale' Regelschule. Doch es wurden in jede Klasse etwa zwei Schüler*innen mit Blindheit aufgenommen. Genau das, was wir wollten. Integrativ beschult werden und doch nicht das einzige Versuchskaninchen auf der ganzen Schule sein.

Da ich nicht jeden Tag Hin- und Herfahren konnte, musste ich im Internat der Hamburger Blindenschule wohnen.

Nachdem ich um eine Woche Sommerferien betrogen worden war, weil die Hamburger Schulferien früher angefangen und damit auch früher aufgehört hatten als die Ferien in Niedersachsen, kam ich nun in eine neue Stadt, neue Unterkunft, neue Schule und neue sechste Klasse.

Meine Familie war mit nach Hamburg gefahren und begleitete mich am ersten Tag in die Schule. Irgendein Mensch, ich glaube es war ein Lehrer, führte uns in einen, für meine Begriffe überdimensionalen Klassenraum. Dort wurden meine Eltern dann wieder abgeführt und ein großer Mann, der einen langen, völlig unverständlichen Namen nuschelte, zog mich durch einen Irrgarten von Tischen hindurch zu einem Platz.

Wie sollte ich je durch die ganzen Tische zurück zur Tür kommen? Und wie hieß noch mal dieser Mann? War der wichtig? Und wo war ich jetzt?

In der Blindenschule waren wir immer sechs oder acht Schüler in einer Klasse gewesen. Jetzt wurde ich in einen Raum gesetzt, in dem mich eine ziemlich unüberschaubare Mitschülermasse erwartete. Neben mir, ungewöhnlich dicht, am gleichen Tisch saß noch jemand. So dicht hatten wir in der Schule nur gesessen, wenn zwei Klassen zusammengelegt wurden, weil wir Unterrichtsvertretung hatten. Dann war der Klassenraum immer voll. Na ja, voll war es hier auch, und wie.

Der Jemand war ein Mädchen. Sie stellte sich vor und sagte, dass sie auch blind sei. Es seien 19 Kinder in dieser Klasse, aber nur wir beide wären blind. Sie war nicht neu, denn sie besuchte die Schule seit der fünften Klasse, also schon seit einem Jahr. Meine Frage, ob dies unsere festen Plätze seien, beantwortete sie mit: 'ja.'. Das beunruhigte mich doch etwas.

Unsere Tische hatten keine Fächer, wie die Schreibtische, die wir in der Blindenschule gehabt hatten. Auf dem Tisch war, wenn wir uns einen davon teilen mussten, auch nicht viel platz. Bücher in Blindenschrift sind groß. - Wo um alles in der Welt sollte ich hier Bücher unterstellen? Egal, ich besaß sowieso noch keine.

Meine Gedankengänge wurden von dem Mann, mit dem langen Namen unterbrochen. Meine blinde Mitschülerin setzte mich flüsternd davon in Kenntnis, dass dies der Klassenlehrer sei. Er verkündete, er würde jetzt den Stundenplan für alle sechsten Klassen austeilen. Danach würde er den unseren noch mal diktieren.

Oh, ich hatte nicht nur keine Bücher, sondern auch nichts zum Schreiben. Also weiteres Geflüster: 'Hast du dir denn keine Maschine geholt?' Wo zum Geier sollte ich die denn herbekommen? So was ist doch da? Die wussten doch, dass sie noch eine Blinde kriegen. - Hier war, außer einem ganzen Haufen Menschen, offensichtlich nichts da.

'Wir schauen nachher zusammen, ob wir für dich eine Schreibmaschine bekommen.' Mit diesen Worten schob sie mir ihre Maschine hin. Ich sollte mitschreiben. Sie meinte, sie könne am Nachmittag zu Hause ihre Mutter fragen. Die würde ihr dann den Plan aus dem Gesamtplan herausdiktieren.

Leise meldete sich eine weitere Frage: Warum gibt es viele Pläne für eine Klasse? Ich hatte aber das Gefühl, dass dies eine dumme frage sei und stellte sie nicht.

Von vorne kam nun die Ankündigung: 'Wir schreiben.' - und es wurde plötzlich totenstill. Er diktierte. Alles was man hören konnte war seine Stimme. Dazwischen war nichts. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Was war denn bloß passiert?

Nach dem Erschrecken fiel mir ein, dass ja alle anderen mit einem Stift und deshalb leise schrieben. Ich war jetzt die Einzige, die auf einer Blindenschriftmaschine schreiben sollte.

In der Blindenschule ging beim Kommando. 'Wir schreiben.' Ein riesiger Krach los, weil 6 bis 8 Maschinen um die Wette klapperten. Aber hier? Ich konnte doch nicht einfach in diese Stille hineinschreiben. Das würde sich ja anhören, wie eine halbe Gewehrsalve. Bestimmt würde ich dann rausgeschmissen, wegen Störens des Unterrichtes. Was sollte ich denn jetzt machen?

Ich bekam einen Ellenbogen in die Seite: 'Warum schreibst du denn nicht?' Ich versuchte dem Mädchen meine Bedenken zu erklären. Sie verstand mich nicht. Mist, das flüstern fiel ja in dieser stille auch so auf.

Ich versuchte vorsichtig eine Zeile zu schreiben. - Uij, das war ja viel zu laut! Also schön leise. Immer schön den Schreibkopf festhalten. Aber dann war ich zu langsam und kam nicht mehr mit.

Der Stundenplan war fertig diktiert. Vielleicht konnte ich ihn in irgendeiner Pause von jemandem abschreiben. Mist! Das ging ja auch nicht. Die schrieben ja alle Schwarzschrift. Ob mir den Plan wohl jemand diktierte?

Nun stellten sich alle Kinder erst mal vor. Die Hälfte der Namen vergaß ich gleich wieder. Und welcher Name zu welchem Menschen gehörte, konnte ich mir erst recht nicht merken.

Ich erfuhr, dass dies hier eine kleine Klasse sei. Dann wollte ich lieber noch nicht wissen, was die hier unter einer großen Klasse verstanden.

Als nächstes sprach der Lehrer von der Klassenfahrt, die schon lange geplant war und in zwei Wochen losgehen sollte. Es würden die Schüler*innen aus drei sechsten Klassen mitfahren.

Wie viele sechste Klassen gab es denn hier? In welcher von den vielen befand ich mich? Ach du liebe Zeit! Da würden dann ja so um die 60 Schüler dabei sein. Das war ja soviel, wie die halbe Blindenschule. Und die waren alle in der sechsten Klasse? An der Blindenschule in Hannover waren ein paar hundert Schüler, wenn es überhaupt so viele waren.

An der neuen Schule waren ca 1200 Schüler. Ganze 14 davon waren blind und über die Orientierungsstufe und den Gymnasialzweig der Schule verteilt.

Irgendwann gongte es endlich. Puh, schon eine Stunde geschafft. Aber wie würde ich hier jetzt rauskommen? Ich hängte mich erst mal an meine blinde Mitschülerin, weil wir eine Schreibmaschine für mich organisieren wollten.

Wir liefen über ein paar Treppen, durch noch mehr Türen, waren plötzlich draußen und liefen lange irgendwie über einen großen, großen Platz. Da war ein Menschengewimmel. 'Hilfe' Ein Hauptbahnhof am Freitag Nachmittag war dagegen eine menschenfreie Zone. Ich bewunderte im Stillen meine Mitschülerin. Wie fand die hier durch? Woher wusste sie, wohin wir gehen sollten?

Wir landeten nach mehreren Stufen und einer Tür wieder in einem Haus. - Noch mehr Treppen, viel mehr Türen, und da war ein Raum mit einer Frau drin. Diesen Raum betraten wir beide nun auch. Tür zu, wenigstens ein bisschen Ruhe. Ich wurde vorgestellt. Von dem Raum mit der Frau ging ein weiterer Raum ab, dessen Tür offen stand. Aus diesem Raum kam nun ein Mann gelaufen und drückte mir eine Punktschriftmaschine in die Hand. Die beiden redeten vom Englischunterricht und darüber, dass ich noch das Buch brauchen würde. Ich bekam noch einen großen Leitzordner unter den Arm geschoben. Das war das Englischbuch.

Und schon waren wir wieder draußen und drängelten uns den ganzen Weg zurück. Meine Mitschülerin informierte mich darüber, dass wir jetzt Englisch hätten. Wir betraten wieder einen Raum. Aber das war doch gar nicht unser Klassenraum? Wo waren wir denn jetzt schon wieder?

'Na, Englisch. Habe ich doch gesagt.'

Hm. Hatten wir denn nicht den ganzen Unterricht im Klassenraum? So langsam wünschte ich mir die Blindenschule zurück. Da hatte ich einen festen Tisch, festen Raum und ein festes Fach, zum Unterbringen von Büchern und anderen Sachen. Genau. Wo waren denn hier die Fächer? Sollten wir unsere Sachen denn immer mit uns herumtragen?

Ich bekam ein 'Ja. Aber es gibt noch einen Raum.' Zur Antwort und einen Stuhl vor die Füße gestellt. Ach ja, wir hatten ja Unterricht. Also hinsetzen. Die Maschine kam auf den Tisch und der Ordner auch.

Ein weiterer Mann stellte sich vor, erklärte mir, dass wir hier etwa 25 Schüler waren und ging nach vorn. Wieso denn 25? Eben waren es noch 19?

'Für die A-Kurse und B-Kurse werden die Klassen eben ein bisschen gemischt. Wir sind im A-Kurs.'

A-Kurs? B-Kurs? Ich verstand nur noch Bahnhof. Naja, Bahnhof fing eindeutig mit B an. Geistig fühlte ich mich gerade ziemlich im B-Kurs. Und jetzt wollte der Mensch da vorn, dass ich anfange laut zu lesen. Gut. Lesen konnte ich ja wenigstens. Ordner aufschlagen, Finger auf die Seite und ... Was stand denn da? Ich konnte gar nichts lesen. Saß da mit offenem Mund, stieß meine Mitschülerin an: 'Was steht denn da für'n Zeug. Ich kann gar nichts...'

'Ach, die englische Kurzschrift.', unterbrach sie mich, 'Hattet ihr die denn nicht.'

Nein, die hatten wir nicht. Wir hatten gerade damit angefangen und waren über die ersten fünf Kürzungen nicht hinaus gekommen.

'Sie kann zwar Englisch. Aber das ist Kurzschrift. Die kann sie noch nicht.' Erklärte sie dem Lehrer und las für mich. Auweier! Nicht mal lesen konnte ich. Konnte ich denn hier irgendwas?

Gong, fünf Minuten Pause. Die brauchten wir auch. Wir wechselten wieder zurück in unseren Klassenraum. Jetzt waren wir wieder 19 Schüler. Nächste Stunde, Gong, große Pause. Durchdrängeln, Türen, Treppen, Türen, draußen.

Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, dass ich plötzlich allein auf dem Schulhof stand. Natürlich nicht allein. Aber ohne jemand Bekanntes. Wahrscheinlich hatte ich meine Mitschülerin verloren. Es Gongte wieder und irgendwie war ich jetzt plötzlich doch allein. Menschenfreie Zone, als wären die alle ins Haus hineingesaugt worden. Aber wo war denn jetzt der Eingang? Da kam ein größerer Junge. Den fragte ich, wo denn die sechste Klasse sei.

'Welche?'

Ach ja, es gab ja mehrere davon. Ja, welche denn? Warum stellte ich mich eigentlich die ganze Zeit so doof an? Das hätte ich doch alles wissen müssen. Meine Schwester kann sehen und ging schließlich auf eine Regelschule. Da gab es auch viele Kinder, viele Klassen und viel Gewusel. Das wusste ich von gelegentlichen Besuchen. Manchmal, wenn ich ein verlängertes Wochenende hatte, kam ich an dem freien Montag mit zu ihr in die Schule. Wenn wir an einem Samstag Schule hatten, machte sie den Gegenbesuch. Aber jetzt stand ich da wie der letzte Urmensch in plötzlicher Zivilisation.

'Keine Ahnung' gab ich zur Antwort.

'Oh, es gibt mindestens 7 sechste Klassen. Wie heißt denn euer Klassenlehrer?'

Das würde ich ja selbst gern mal wissen.

'Weiß nicht. Habe den Namen nicht verstanden. Aber wir haben jetzt Biologieunterricht. Hilft das was?'

'Ja. In welchem Biologieraum denn?'

Ach du Schreck! Wieso denn im Bioraum? In der Blindenschule standen im Biologieraum lauter ausgestopfte Tiere und andere Modelle. Den Unterricht hatten wir meist in unserem Klassenraum. Und wieso fragte der Schüler in welchem Bioraum wir denn wären? Gab es denn viele davon?

'Ja', antwortete er geduldig: '6 Stück.'

Du liebe Zeit. Der hielt mich bestimmt für den letzten Trottel. Jetzt atmete er tief durch: 'Die kleineren Schüler sind meist in Haus A-B. Dann haben wir ja nur noch drei Bioräume zur Auswahl. Immerhin nur noch die Hälfte. Die anderen drei sind in Haus C.'

Wieso denn Haus A-B und Haus C? war die Schule nicht immer in einem großen Gebäude? Hier offenbar nicht. Ich fragte vorsichtig, wie viele Gebäude die Schule denn hätte.

'Die zwei großen und dann halt noch kleinere. Weiß nicht genau. Ich glaube 7.'

Wir trabten los, durch die nun schon bekanntere Tür und Treppen und Türen. Ja, in diesem Haus war ich die letzten Stunden gewesen. Könnte also richtig sein.

Gleich der erste Biologieraum war der Volltreffer. Ein paar fremde Kinderstimmen behaupteten, dass ich zu ihnen gehöre und ich wurde wieder durch einen Tische, Stühle, Schüler, Urwald zu einem Platz geschoben. Diesmal von einer Frau mit deutlicher Sprache und kürzerem Namen.

Gong, Schule fertig, ich auch.

Natürlich spielte sich im Lauf der Zeit alles ein und wurde einfacher für mich. Aber es dauerte doch eine ganze Weile, bis ich mit all den Veränderungen zurecht kam."

(Quelle: Erfahrungsberichte auf www.anderssehen.at)

3. Erfahrungsbericht aus den Anfängen der integrativen Beschulung aus Schülerinnenperspektive von Regina Scholten

Zum Schuljahr 1983/84 wurde ich in die Eingangsklasse einer Sehbehindertenschule eingeschult. Wegen Dissonanzen betreffend der bestmöglichen Förderung schulten mich meine Eltern nach einem Jahr eigenverantwortlich in die 2. Klasse der örtlichen Regelgrundschule um. Ich war nun ohne sehgeschädigtenspezifische Betreuung in meine Jahrgangsklasse integriert. Nach Beendigung der Grundschulzeit wechselte ich 1987 auf das örtliche Gymnasium, auch hier ohne sehgeschädigtenspezifische Betreuung und unter der von der Schule gestellten Bedingung, keine Forderungen zu stellen. Formell galten für mich die gleichen Bedingungen wie für alle Regelschüler. Gespräche mit einzelnen Lehrer*innen änderten oft nichts an der Situation:

- keine Zeitverlängerung bei Klassenarbeiten,
- unleserliche Arbeitsblätter,
- keine Reflexion über mein und das Sozialverhalten der Mitschüler*innen,
-  ...

Erst in der Oberstufe setzte sich eine Lehrerin für meine Sache ein und setzte zumindest Zeitverlängerung bei Klausuren durch.

Diese Beschreibung klingt zunächst, als sei ich meine ganze Schulzeit hindurch "arm dran" gewesen, als hätte ich mich permanent ungerecht behandelt gefühlt. Dem war aber ganz und gar nicht so. Meine ganze Schulzeit wurde von einem Phänomen bestimmt, das mir erst bewusst wurde, als ich mich mit der Thematik Behinderung und Integration im Rahmen meines Lehramtsstudiums im Fach Blindenpädagogik beschäftigte.

Ich fragte meine Eltern im Nachhinein, warum sie sich nicht noch mehr für meine Rechte eingesetzt hätten. Sie sagten, dass sie mich ständig gefragt hätten, ob ich zurechtkäme und ich kann bestätigen, dass sie dies tatsächlich oft getan hatten. Zudem stimmten die Schulleistungen einigermaßen und der Schulleiter plädierte gegen eine Sonderstellung in der Klasse, solange die Leistungen stimmten.

Meinen Eltern mache ich also keinerlei Vorwurf! Aber warum habe ich immer, wenn ich nach meinem Zurechtkommen gefragt wurde, gesagt, es sei alles in Ordnung? Ich erinnere mich im Nachhinein, dass ich die Situation tatsächlich so empfand, als sei alles in Ordnung. Tatsache war, dass meine Sehschädigung vorhanden war, sie aber in der Schule schlicht kein Thema war, weder für die Lehrer*innen, noch für die Schüler*innen und - vor allem - nicht für mich. Tatsache war auch, dass ich immer Schwierigkeiten hatte, von der Tafel abzuschreiben, dass bei Gruppenarbeit die Themen in der Gruppe verteilt wurden und ich von den Gruppenmitgliedern ausgeschlossen wurde, weil ich nicht schnell genug arbeitete. Ich hatte dann Schwierigkeiten, vor dem ab und zu vorbeischauenden Lehrer zu verbergen, dass ich nicht arbeitete und hatte Angst, das Ergebnis vorlesen zu müssen und zu gestehen, dass ich nichts geschrieben hatte... Aber all diese Schwierigkeiten führte ich paradoxerweise nicht auf meine Sehschädigung oder die unsoziale Einstellung der Mitschüler*innen zurück, sondern "das war einfach so". Sehbeeinträchtigung und Sozialverhalten waren in der Schule eben kein Thema. Die Situation war wie bei einem schlechten Schüler, der oft seine schlechten Leistungen auf keine eindeutige Ursache zurückführen kann. Zudem dachte ich gar nicht über die Ursache nach. Wie gesagt: Das war einfach so. Hätte mich der Lehrer gefragt: "Warum hast du denn nichts in deinem Heft stehen?", hätte ich sicher nicht mit meiner Sehbeeinträchtigung argumentiert. Ich hätte nichts gesagt und mich dabei auch nicht ungerecht behandelt gefühlt, sondern es wie eine schlechte Leistung aufgefasst. Sicher hätte eine sehbeeinträchtigtenspezifische Betreuung meine schulische Situation verbessert und eine Reflexion meines und des Sozialverhaltens der Mitschüler*innen zur Folge gehabt, die durchaus wünschenswert gewesen wäre, aber auch im sozialen Bereich hat die Nichtsonderstellung einen bemerkenswerten Effekt gehabt.

Zunächst war ich für die anderen Schüler*innen eine Mitschülerin wie alle anderen. Wir konnten völlig unbefangen miteinander umgehen. Vor allem in der Oberstufe fand ich zu vielen Kontakt, die plötzlich von selbst darauf kamen, mir zu assistieren und sich für meine Situation zu interessieren. Im sozialen Bereich habe ich die Nicht-Sonderstellung eigentlich immer als angenehm empfunden, auch wenn ich manchmal unreflektiertes Verhalten der Anderen hinnehmen musste, und auch dieses führte ich nicht auf meine Sehbeeinträchtigung oder die Ungerechtigkeit der Mitschüler*innen zurück, denn meine Sehbeeinträchtigung war wie gesagt kein Thema.

Dieses Phänomen, dass offensichtlich zutage liegende Ungerechtigkeiten gar nicht als solche empfunden werden und den Tatsachen unbewusst eine ganz andere Ursache zugeschrieben wird, finde ich bemerkenswert und auch, dass ich sicherlich viel habe hinnehmen müssen, aber die Nicht-Sonderstellung für mich auch positive Seiten gehabt hat, die mir ebenfalls zu meiner Schulzeit nicht bewusst waren. Um zu betonen: Ich spreche keinesfalls gegen die Integration!

Ich finde jedoch meine Erlebnisse sehr interessant.

4. Erfahrungsbericht zum Thema Situation sehbehinderter Kinder im Unterricht von Barbara Kagon

Barbara besuchte 1998 die 10. Klasse des heimatlichen Gymnasiums. Sie ist seit der Geburt sehbeeinträchtigt und hat eine Sehschärfe von ca. 10%. Barbara hat mit ihrer Mutter vor etwa einem halben Jahr erstmals unsere Beratungsstelle (Anm. Förderzentrum in Süddeustchland) aufgesucht. Sie arbeitet mit Ehrgeiz und Fleiß und erreicht damit gute Schulleistungen.

Barbara hat im November 1998 anlässlich einer Fortbildung für Lehrer*innen, die integrativ beschulte sehbeeinträchtigte Kinder unterrichten, folgendes Referat gehalten und damit Einblick in die Situation von Kindern mit Sehbeeinträchtigung im Unterricht gegeben:

Eine Veränderung am Unterricht ist für mich erst vor kurzem eingetreten, da man lange meine Behinderung unterschätzt hat. Deshalb sind meine Erinnerungen noch ziemlich frisch. Ich möchte ihnen nun einen Schultag schildern, wie er früher für mich Alltag war.

Sagen wir erste Stunde Physik: Der Stromkreislauf - Der Lehrer schaltet den Overhead-Projektor an. Für die anderen Schüler*innen erscheint wohl nun ein Stromkreislauf. Ich sehe nur ein großes Rechteck mit einigen Flecken daran. Manche Flecken sind - für mich jedenfalls - unleserlich beschriftet. Der Lehrer erzählt und erzählt: Man beachte die roten und die blauen Linien. Ich bin zwar nicht farbenblind, aber auf diese Entfernung sehe ich keinen Unterschied mehr zwischen rot und blau. Und das aus der ersten Reihe. Ich will den, von Faszination gepackten Lehrer nicht aus der Fassung bringen, also schweige ich. Das Letzte worauf ich heute Morgen Lust hätte, wäre wieder einmal zu erklären, warum ich nichts sehe und das vor der ganzen Klasse. Das Klingeln erlöst mich.

Zurück ins Klassenzimmer - zweite Stunde Deutsch. Eine interessante Stunde. Deutsch gehört zu meinen Lieblingsfächern. Die Stunde ist fast vorbei und es sieht so aus, als ob wir heute nichts schreiben müssen. Doch zehn Minuten vor Schluss fängt der Deutschlehrer plötzlich wie wild an, das bis dahin nur flüchtig entworfene Tafelbild zu ergänzen. Sieben Minuten vor Schluss! Das schreibt ihr jetzt noch schnell ab. Ich mache mich an die Arbeit. Einer nach dem anderen ist fertig und ich schreibe noch immer. Es klingelt und ich habe etwas mehr als die Hälfte erst abgeschrieben. Das heißt wiederum "Heft ausleihen und heute Nachmittag Extraarbeit".

Chemie: Erlebnisunterricht ist die Devise. Jeder schnappt sich ein Versuchstablett und macht den Versuch mit. Der Lehrer hebt einen Gegenstand hoch: "Den nehmen wir jetzt, um..." Was könnte das nur sein? Mühsam vergleiche ich die vor mir liegenden Dinge mit dem Teil in des Lehrers Hand. Rechts und links schaue ich, was die anderen so machen. Und spiele mal wieder Pantomime. Immer schön geschäftig aussehen. Lass ihn nur nicht merken, dass du nichts machst.

Große Pause. Ich will mal schnell zum Vertretungsplan gehen und schauen, wer heute fehlt. Davor steht eine Traube von Fünft- und Sechstklässlern. Ich stehe also einen dreiviertel Meter entfernt. Den Plan sehe ich, nur lesen kann ich nichts.

Es klingelt, Musik ist als nächstes dran. Heute sollen wir auf den Keyboards selber spielen. Die Noten werden auf den Ständer geklemmt. Die Tasten sind vorne an der Tafel erklärt. Das mit den Tasten klappt noch. Ich brauche ja nur eine zum Orientieren, die anderen bekomme ich dann schon selber heraus. Doch wie soll ich diese winzigen kleinen Noten einen halben Meter vor mir lesen? Und schon wieder tue ich so, als ob ich spiele.

Noch Informatik und Sport, dann habe ich es für heute geschafft. In Informatik haben wir einen etwas unfähigen Lehrer. Er zeigt mit dem Projektor, was wir machen sollen. Gott sei Dank verteilt er auch Blätter, wo das Wesentliche draufsteht, sonst wäre ich mal wieder aufgeschmissen. Bleibt nur noch das Problem mit dem richtigen Schreiben. Denn um zu sehen, ob ich mich vertippt habe, muss ich jedesmal aufhören zu tippen, mich nach vorne beugen und alles lesen. Ganz schön zeitaufwendig.

Sport mache ich, solange es keine Noten gibt, ganz gerne. Ich habe mich auch daran gewöhnt, dass ich als letzte gewählt werde, den Ball öfter nicht fangen kann und den Abstand zwischen mir, dem Sprungbrett und dem Kasten falsch einschätze. Das ist alles nicht so wild. Nur, wenn ich dann für dieses Chaos benotet werden soll, finde ich es gleich gar nicht mehr so gut.

So ungefähr sahen bei mir die Schultage aus. Und natürlich alles aus der ersten Reihe. Nach und nach besserte sich dann die Lage, auch wenn es einige Lehrer*innen zu gut meinten und mich vor den Versuchstisch holten. Und ich daraufhin den Spott meiner Klasse, die damals so wenig wusste wie ich, erntete. Viele Lehrer*innen konnten auch nicht verstehen, warum ich mich denn nicht öfter bemerkbar gemacht hatte. "Ich kann es nicht sehen." Sollte schließlich jede*r Schüler*in sagen, ich hab's nicht gerne getan, höchstens gegenüber meiner Freundin, doch kaum zu Lehrer*innen. Es hat etwas mit Selbstbewusstsein zu tun, zehn Mal am Tag zu sagen, dass man etwas nicht kann, was man gerne können würde. Das können sie selber ausprobieren, wenn sie sich zehnmal am Tag sagen "Ich kann nicht zeichnen" wird das ihrem Selbstbewusstsein nicht gut tun. Deshalb finde ich es schön, wenn Lehrer*innen von sich aus sich erst einmal bemüht, Situationen aus dem Weg zu schaffen, die den Schüler*innen wieder dieses "Ich-kann's-nicht-Gefühl" vermitteln. Das Problem, das sie dabei haben ist natürlich, dass sie nicht wissen, was ich sehen kann und was nicht. Dann fragen sie mich. Aber es ist eine schwierige Frage, denn mein Bild sieht für mich völlig normal aus. Ich habe ja nie mit normalen Augen gesehen und kann höchstens sagen, was ich sehe. Doch woher soll ich wissen, was ich nicht sehe?

Was ich immer wieder schade finde ist, wenn Lehrer*innen versuchen, den Unterricht interessant und lebendig zu gestalten und ich sie bitten muss, es zu lassen, weil ich sonst nicht mehr mitarbeiten kann. Wenn sie z. B. das Tafelbild bunt gestalten und ich dann nichts mehr lesen kann, weil der Kontrast zu gering wird. Oder wenn sie Schüler*innen an die Tafel lassen, die dann aber nicht lesen, was sie schreiben und ich dann nicht weiß, was ich notieren soll. In der Grundschule spielten wir manchmal Laufdiktat. In den Zimmerecken lagen Zettel mit Sätzen. Wir mussten hinlaufen, bekamen 10 Sekunden zum Lesen, mussten an den Platz zurück und den Satz aufschreiben. Mir haben die 10 Sekunden kaum gereicht, den Satz zu finden und geschweige denn, ihn auch noch zu lesen. Natürlich gibt es auch schlechte Methoden von Lehrer*innen, die mir zum Verhängnis werden können. Besonders bei uns und insbesondere bei Mathelehrern beliebt: Das schneller werden oder Aufgeben von akustischen Erläuterungen, wenn die Klasse zu laut wird. Ich habe so schon Probleme beim schnellen Schreiben und wenn dann noch das Tempo angezogen wird und ich mich nur noch auf meine Augen verlassen muss, wird es unzumutbar. Wegen meines langsamen Schreibens bin ich auch nicht gerne vorne an der Tafel. Besonders bei Diktaten, bei denen doch eine gewisse Geschwindigkeit vorausgesetzt wird und die Tafel auch noch bremst, ist es sehr anstrengend für mich. Diese ganzen Umstellungen, die ich genannt habe, sind für die Lehrer*innen nicht leicht, das weiß ich, doch sie sind leider notwendig. So sagte mir eine neue Lehrerin, als ich sie bat doch laut zu lesen, was sie an die Tafel schreibt, dass sie wieder umlernen müsse, da sie im Studium gelernt hatte, dies nicht zu tun. Es kann also manchmal große Umstellungen bedeuten, wenn man ein nicht gut sehendes Kind in der Klasse hat. Jetzt habe ich bald alles gesagt, wichtig ist mir aber noch: Die Behinderung heißt durchaus nicht, dass ich oder andere Menschen mit Sehbeeinträchtigungen Komplexe haben. Ich habe kein Problem, mich z. B. vor die Klasse zu stellen und ein Referat zu halten. Dann bin ich ganz ich selbst und habe Spaß. Deshalb ist es wichtig, Schüler*innen mit Sehbeeinträchtigung nicht nur auf deren Behinderung zu beschränken.

Barbara Kagon

5. Erfahrungsbericht eines Integrationshelfers

Autor: Jens Hörsken

"Jan Philipp ist 12 Jahre jung und besucht die 6. Klasse der Johann-Conrad-Schlaun Gesamtschule in Nordkirchen (NRW). Jan-Philipp ist zu 90% sehbehindert.

Jeden Morgen fahre ich, der 'Zivi', mit Jan-Philipp mit dem Bus von Bork nach Nordkirchen zur Schule. Jan-Philipp benötigt mich während der Busfahrt nicht als Begleitperson. Ich steige 2 Haltestellen später dazu.

Der Unterricht beginnt um 7:45 Uhr. Bevor der Lehrer kommt, holt Jan-Philipp sein Etui, Stifte, WP Heft, Hausaufgaben. heraus, und ich mache mir erst einen Überblick über die zu bewältigenden (Haus-)Aufgaben. Die erste Stunde ist, wie an jedem Tag, die AST Stunde. Hier erledige ich mit ihm Wochenplan und Hausaufgaben. Da eins seiner Lieblingsfächer Mathe ist, beginnen wir immer damit. Wenn er Aufgaben aus dem Buch bearbeiten soll, schreibe ich diese Aufgaben in der Regel in sein Hausaufgaben- oder Wochenplanheft ab. Alle rechnerischen Aufgaben aus dem Buch sind so klein geschrieben, dass er sie nicht ohne weiteres lesen kann. Auch mit der Visolettlupe sind diese Aufgaben nicht bzw. selten zu lesen. Daher schreibe ich diese Aufgaben in großer Druckschrift mit einem Füller oder schwarzen Filzstift in sein Heft. Jetzt kann er diese Aufgaben mit der Lupe erfassen und berechen. Er schreibt dann einfach die weitere Rechnung bis zur Lösung in sein Heft ohne Lupe. Wenn er allerdings das Geschriebene lesen möchte, nimmt er wieder die Lupe zur Hilfe. Mit dieser Methode ist er fast genau so schnell fertig, wie die anderen Kinder. Sollten Wochenplanaufgaben anstehen, dann liegen diese in Mathematik meistens in einer DIN-A4 Ausführung vor. Diese Arbeitsblätter vergrößere ich dann mit Hilfe eines Kopierers auf mindestens DIN-A3 oder größer. Diese Aufgaben sind dann mit der Lupe lesbar. Dazu muss aber die Vorlage in einem guten Zustand und die Buchstaben und Zahlen gut lesbar sein. Besonders der Kontrast von weiß und schwarz muss zur Geltung kommen. Mit diesem Arbeitsblatt kann er dann auch völlig alleine arbeiten, wie er es z. B. in Mathe Klassenarbeiten machen muss. Schwieriger wird es allerdings, wenn zeichnerische Aufgaben mit Zirkel und Bleistift anstehen. Hier muss man Jan-Philipp beim Radius einstellen oder beim Zirkel millimetergenau ansetzen, helfen.

Wenn eine Arbeit ansteht, bekommen wir beide einen Einzelraum. Hier ist es ruhig und er kann sich auf seine Aufgaben konzentrieren und wird nicht durch Lärm der Mitschüler abgelenkt. Zudem hat er in Arbeiten, da er im gemeinsamen Unterricht mit sonderpädagogischen Förderbedarf beschult wird, einen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich (50% mehr Zeit). Die Arbeit könnte er mit Lupe und dem vergrößerten DIN-A3 Blatt selbstständig lösen, allerdings schreibe ich ihm die Aufgaben in sein Arbeitsheft, denn durch das Abschreiben verliert er nur Zeit, denn die 50% mehr Zeit braucht er. Alleine das Hinschreiben von Zahlen und Buchstaben dauert schon etwas länger.

Als nächstes steht ein weiteres "Lieblingsfach" auf dem Stundenplan: Englisch. Hier arbeiten wir mit einem Din-A5 Buch. Das bedeutet, dass die Texte sehr klein geschrieben sind. Selbst mit Lupe kann er die Texte nur schwer (mit)lesen, wenn andere diese der Klasse vorlesen. Deshalb muss ich mich vorher informieren, welche Kapitel und Themen in den nächsten Tagen behandelt werden. In einer freien Stunde oder Pause, kopiere ich diese Texte aus den Buch auf Din-A3, so verliert er keine Zeit, wenn es heißt: 'Please, open your book at page...' Nun kann er mit Lupe und Vergrößerung dem Unterricht folgen. Problematisch wird es dann erst wieder, wenn er selber der Klasse einen (englischen) Text vorlesen muss. Jan-Philipp verfügt nicht über räumliches Sehen. Er kann also nicht mit einem Blick Satzteile herausfiltern, somit ist kein flüssiges Lesen möglich. Dies führt zu Problemen bei Komma oder Punktsetzung, welche auch mal übersehen werden. Oft merkt er es aber auch selber und liest den Abschnitt noch mal. Eine weitere Schwierigkeit beim Lesen ist, dass die Aussprache im Englischen anders ist und wenn er einen Ausdruck nicht in der Gesamtheit erfassen kann, spricht er diesen mal falsch aus. Allgemein ist es ein Problem bei Texten, dass ab und zu Buchstaben übersehen werden oder verwechselt werden, z. B.: bei ihm, ihn / seiner, seines. Häufig diktiert der Lehrer im Englischunterricht auch Sätze und Aufgaben, damit die Aussprache verinnerlicht wird. Hier muss sich Jan-Philipp besonders konzentrieren um mitzukommen. Bei wichtigen Sätzen, Regeln oder dergleichen, diktiert der Lehrer langsam, damit Jan-Philipp mitkommt, da er langsamer schreibt als seine Klassenkamerad*innen. Bei Aufgaben versucht er erst selber mitzukommen. Irgendwann ist dann die Differenz des Diktierens und Mitschreibens zu groß, so dass er nicht mitkommt. Ab hier diktiere ich ihm den Text weiter oder wenn er durch das viele Schreiben ausgepowert ist, dann schreibe ich für ihn mit. Hierbei muss ich am besten in großer sauber Druckschrift schreiben, damit er dies am einfachsten lesen kann, (hoffe das war meistens der Fall). Bei Wiederholungsaufgaben sagt der Lehrer auch, dass Jan-Philipp nur bis zu diesem Punkt mitkommen muss, und dann schon mal mit der Lösung der Aufgabe beginnt. Neue Grammatikthemen schreibt der Lehrer an die Tafel. Damit Jan-Philipp diese alleine lesen kann, muss der Lehrer groß, in Druckschrift und am besten nicht mit weiß schreiben. Denn vom Wischen der Tafel sind überall weiße Stellen, und es ist sehr schwer für Jan-Philipp zu erkennen, ob dies evtl. Buchstaben sein könnten. Aber oftmals benutzen wir für diese Aufgaben Jan-Philipps eigenen Computer in der Klasse. Er hat einen großen 21 Zoll Bildschirm und ein Lesegerät mit Tafelkamera. Für solche Tafelbilder dient die schwenkbare Kamera, mit der sich Jan-Philipp das Tafelbild auf dem Bildschirm anzeigen und heranzoomen lassen kann. Nun kann er den Text vom Bildschirm in Ruhe abschreiben. Sollte es zügig weitergehen, übernehme ich auch diese Aufgabe.

Jan Philipp sitzt ganz vorne in der Klasse. Am Anfang saß er direkt 3 m vor der Tafel am Einzelplatz. Auf Wunsch sitzt er jetzt aber mit anderen Kindern am Gruppentisch, woran er viel Spaß hat, natürlich immer noch ganz vorne mit Blick auf die Tafel. Am seinem Tisch hat er für die dunklen Wintermonate eine extra Leselampe, die den Kontrast der Buchstaben verstärkt und seine Augen nicht so strapaziert, denn jedes Lesen bedeutet Anstrengung.

Ein weiteres Hauptfach ist Deutsch. Hier wird fast immer mit zu vergrößernden Arbeitsblättern gearbeitet. Daher verbringt Jan-Philipp oft die Deutschstunde am PC. Die Kamera kann nicht nur Tafelbilder vergrößern und heranzoomen, sondern kann dies auch mit Texten, Arbeitsblättern und Büchern machen, welchen dann groß auf dem Bildschirm landen. Da im Deutschunterricht viel geschrieben wird, erledigt Jan-Philipp dies häufig am PC. Auf seiner Tastatur sind die Buchstaben entsprechend groß aufgeduckt. Aufgaben und Arbeitsblätter bearbeitet er hier am PC. Lösungen tippt er am PC ab. Aber auch hier braucht er noch etwas Zeit. Sollte er hier nicht weiterkommen, tippe ich für ihn mit. Besonders in Deutsch hilft ihm der PC, denn, wenn er etwas falsch macht, kann er einfach seinen Text löschen und korrigieren. Im Heft muss er erst suchen, wo er etwas geschrieben hat und dann muss er dies verbessern. Hier verliert man schon mal den Überblick. Außerdem kann man einfach am PC die Texte vergrößern bzw. einen höheren Schriftgrad einstellen, meistens 24 in "Word". In Deutsch werden des öfteren auch Folien am Projektor bearbeitet. Aber obwohl Jan-Philipp ganz vorne sitzt, sind diese kaum zu erkennen, da einfach der Kontrast fehlt. Hierzu benutzt er auch die Kamera am PC und lässt sich das Bild am Rechner darstellen. Man kann hier auch den Kontrast verstärken und andere Einstellungen vornehmen, wie z. B. die Schrift- und Hintergrundfarbe. Klassenarbeiten in Deutsch schreibt Jan-Philipp auch mal im Klassenraum, mit den anderen, am PC. Hier wird oft viel geschrieben (Gedichte, Nacherzählungen). Diese tippt er dann auf dem PC ab. Das ist einfacher, als den Text mit Hand zu schreiben. Bei langen Nacherzählungen darf er mir auch den Text diktieren und ich tippe den Text für Jan-Philipp ab, wobei ich diesen so hinschreiben muss, wie er ihn mir diktiert, auch wenn Fehler dabei sind. Lektüren, die in Deutsch bearbeitet werden, liest er auch am Bildschirm. Solche Texte bereitet und liest er aber auch schon am Abend mit seiner Mutter vor, um den Unterricht besser zu Folgen.

Viel Spaß bereitet ihm das Fach GL. Hier müssen die Schüler des öfteren in Gruppenarbeit selbstständig Themen und Sachgebiete erörtern und diese in einer Collage oder Mappe zusammentragen. Hier ist Jan-Philipp oft einer der Gruppenleiter und gibt an, welche Themen bearbeitet werden. Die Gruppenarbeit und das Erstellen der Mappe anhand von Bildern und Texten macht ihm viel Spaß, so dass er aktiv und voller Tatendrang versucht ein gutes Ergebnis abzuliefern. Die Informationen besorgt er sich aus Büchern, Internet etc. und formuliert mit diesen Medien seine eigenen Texte, die er auch am PC bearbeitet oder mir diktiert.

Am Montag, Mittwoch und Donnerstag haben die Schüler*innen eine große Mittagspause. Hier geht Jan-Philipp alleine zum Essen und auch alleine mit Freunden auf den Pausenhof. Er ist in seiner Freizeit normalerweise nicht auf meine Hilfe angewiesen. Mit zunehmendem Alter besitzt er auch immer mehr Erfahrung um mit "Hindernissen" beim Spielen klar zu kommen. Er spielt mit seinen Freunden Fußball, Handball und macht fast alles, was Jungs in seinem Alter machen. Ab und zu bringt er sogar sein Skateboard mit. Das erste Mal, als er dies mit hatte, habe ich schon Panik bekommen. Aber er fährt genau so gut damit, wie die anderen und versucht auch Tricks vorzuführen. Man kann hierbei fast keine Benachteiligung ausmachen.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Sport eines seiner Lieblingsfächer ist, und er hier mit zu den Besten gehört. Er versucht alle Übungen mit zu machen und so gut wie es geht zu erledigen. Probleme treten hier nur in Verbindung mit Gummiseilen oder (Tisch-) Tennisbällen auf. Fußball spielen, rennen, laufen, springen, etc. macht er alles mit. Er kann ziemlich präzise den Ball annehmen und schießen oder den Handball fangen, er spielt sogar in einem Handballverein und macht Jiu-Jitsu. Die einzigen Probleme die im Sportunterricht auftreten können, sind z. B.: Wenn ein Ball geflogen kommt und er und andere diesen erreichen wollen, kann er sich meistens nur auf den Gegner oder den Ball konzentrieren, was der Gegner dann leider unbeabsichtigt zu spüren bekommt. Es viel ihm auch nicht schwer sich als AG Schwimmen auszusuchen. Er trägt hierbei eine Brille, genau wie im Sportunterricht, und schwimmt mit den anderen um die Wette. Sportliche Aktivitäten kann er selbstständig ausführen.

Nachmittags finden meistens die Fächer Biologie und Chemie statt. Hierfür wechseln wir die Klasse, da oft praxisnahe Versuche durchgeführt werden, dass heißt: Es stehen kein PC und keine Kamera zur Verfügung. Jan-Philipp sitzt hier meistens in Nähe des Fensters und der Tafel. Zum Abmalen der Tafelbilder geht Jan-Philipp oft nach vorne an die Tafel und malt direkt 2 m vor der Tafel ab. Bei Texten versuche ich, sie ihm zu diktieren. Aber sollten diese Fächer in die 7. und 8. Stunde fallen, ist er auch oft durch Medikamente (Antiepileptikum) müde und die Motivation ist weg. Dann übernehme ich auch schon mal das Abschreiben der Texte. Bei ungefährlichen Lehrerversuchen darf er ganz nach vorne um sich den Versuch aus der Nähe anzusehen, worum ihn die anderen Schüler*innen auch mal beneiden. Allerdings muss er dann auch des öfteren die Beobachtung beschreiben. Alle Schülerversuche macht Jan-Philipp mit. Bei gefährlichen Versuchen, z. B.: mit Feuer oder Gas, achte ich dann im Hintergrund darauf, dass nichts passiert, da z. B.: eine rauschende Flamme nur sehr schwer zu erkennen ist.

Ein anderes Fach, indem Jan-Philipp fast ohne meine Hilfe klar kommt, ist Kunst. Wenn eine mündliche Aufgabe ansteht, kann er einfach mit seinen Materialen loslegen; vorgegebene Aufgaben vergrößere ich oder erkläre sie ihm in etwas abgewandelter Form, so dass diese auch für ihn lösbar sind.

So in etwa sieht ein normaler Schulalltag für Jan-Philipp und seinem Zivi aus."

(Quelle: Homepage "Integrationskinder" mit dem Erfahrungsbericht von J. Hörsken)

6. Erfahrungsbericht einer blinden Schülerin: "Mein Praktikum in England"

Jedes Jahr im Januar nach den letzten Klausuren des ersten Halbjahres fahren einige Schüler*innen eines Gymnasiums in NRW aus den Jahrgangsstufen 10 und 11 nach England, um dort ein Praktikum zu absolvieren. Dieses Jahr hat mit Annemarie zum ersten Mal eine Schülerin mit Blindheit dieser Schule am "work experience" teilgenommen. Hier folgt ihr Erfahrungsbericht:

"Im Januar habe ich für eine Woche ein Praktikum an der Southend High School for Girls in England gemacht, einem Mädchengymnasium in der Nähe von London. Besonders wichtig war dieser Auslandsaufenthalt für mich, weil ich, um das Sprachzertifikat Certilingua zu bekommen, eine Arbeit über meine Erfahrungen dort schreiben muss. Ich konnte in dieser Woche eine Menge lernen und viele Erfahrungen sammeln.

Ich war schon öfter für eine gewisse Zeit alleine von zu Hause weg, doch dies war das erste Mal für mich, alleine in einem fremden Land zu sein. Nein, allein war ich nicht wirklich, denn für Blinde wie mich ist es meist schwierig, sich ohne Hilfe in einer unbekannten Umgebung zurechtzufinden. Daher wurde ich von Frau S., einer Lehrerin der Schule für Blinde und Sehbeeinträchtigte, begleitet.

Wir kamen für die Woche gemeinsam in einer Gastfamilie unter, die uns wirklich sehr herzlich empfing und alles tat, um uns den Aufenthalt so schön wie möglich zu gestalten und uns möglichst viel von der Kultur zu zeigen. Ich habe mich sehr gut mit meinen beiden Gastschwestern verstanden und die Erfahrung, eine Woche lang in einer Familie mit einer ganz anderen Sprache, anderen Bräuchen und vor allem einer anderen Esskultur zu leben, war sehr aufregend.

So viele Eindrücke hätte man nie bekommen, wenn man einfach im Hotel übernachtet hätte. Die Kommunikation in der Familie und der Schule lief fast problemlos und wann immer ich ein Problem oder eine Frage hatte, gab es Menschen, die mir gerne geholfen haben. Natürlich braucht man am Anfang immer ein bisschen, um sich in die Sprache einzufinden, doch je länger man da ist, desto einfacher geht es!

Auch in der Schule habe ich mich wirklich sehr wohl gefühlt. Zwar war es für mich unmöglich, mir innerhalb einer Woche alle Wege im Gebäude einzuprägen, aber ich konnte mir in dieser Zeit doch einen sehr guten Einblick in die Unterschiede zu deutschen Schulen, die teilweise sehr beeindruckend waren, verschaffen.

Die Disziplin und Ruhe, die in der Schule herrschte, und die fortschrittliche technische Ausstattung werden mir vermutlich am längsten in Erinnerung bleiben. Die Ordnung und Struktur machen es nicht nur Menschen mit Blindheit leichter, sich besser zurechtzufinden… Die Lehrer*innen gaben sich große Mühe, mir möglichst viele Schulstunden zu zeigen, auch Fächer, die man in Deutschland nicht unterrichtet, wie zum Beispiel Textilunterricht, Psychologie oder Berufsplanung. Am interessantesten fand ich es, mitzuerleben, wie die Schüler*innen in England Deutsch als Fremdsprache lernen. So wurde die Schulwoche für mich sehr spannend und vor allem eine gute Gelegenheit, mein Englisch aufzupolieren. Und nach einem anstrengenden Tag im vollen und lauten London zum Abschluss der Woche war ich wirklich traurig, als es dann wieder zurück nach Hause ging.

Ich würde jedem, der sich noch unsicher ist, auf jeden Fall empfehlen, einen Auslandsaufenthalt zu machen und dabei in einer Gastfamilie zu wohnen, da man nicht nur seine Sprachkenntnisse verbessert, sondern auch viele Kontakte knüpfen, andere Menschen treffen und Eindrücke sammeln kann, die man in einem normalen Sommerurlaub vermutlich nicht bekommen würde. Vor meiner Woche in England hatte ich auch viele Bedenken, ob ich alles verstehen würde, ob ich mich dort zurechtfinden und mit der Familie verstehen würde. Am schönsten war für mich das Gefühl, als sich herausgestellt hat, dass diese Bedenken völlig umsonst waren."

(Annemarie für das ISaR-Projekt 2014)

7. Bericht von einem Besuch bei der Malerin Silja Korn

Dieser Bericht ist im Rahmen eines Besuches bei der Malerin Silja Korn entstanden.
Silja Korn ist Erzieherin und wohnt in Berlin. Eine ihrer größten Leidenschaften ist das Malen abstrakter Kunst. Aufgrund eines Autounfalls verschlechterte sich Siljas Sehvermögen rapide, bis sie im Alter von 17 Jahren vollständig erblindete. Bereits in ihrer Kindheit war Silja kreativ tätig und malte gerne und viel. Wegen ihrer Erblindung gab Silja das Malen zunächst auf. Dabei beschreibt sie die Beendigung der malerischen Tätigkeiten als ein sehr einschneidendes persönliches Ereignis, zumal ihr andere künstlerische Ausdruckformen, wie zum Beispiel die Bildhauerei, wenig Freude bereiteten. Doch dann erfuhr sie über das Internet von einem Projekt, in dessen Rahmen Schüler*innen mit Blindheit gemalt haben. Des Weiteren stieß sie auf eine Künstlerin, die ihre Bilder vorwiegend mit taktilen Materialien gestaltete. Durch das Wissen um die Möglichkeit, auch als Mensch mit Blindheit malen zu können, schöpfte Silja langsam den Mut, auch selbst wieder malerisch aktiv zu werden.
Bei Silja entwickelte sich dadurch allmählich ein neues Selbstbewusstsein. Während sie sich am Anfang nicht traute ihre Bilder der Öffentlichkeit zu zeigen, ist sie heute mit ihren Bildern auf internationalen Ausstellungen vertreten. Auch diese Entwicklung forderte von Silja immer wieder neuen Mut und Offenheit. Zu Beginn ihrer Malerei bemaß sie den Wert ihrer Bilder noch an der Einschätzung des sehenden Publikums. Mittlerweile malt sie vor allem, um ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen. Als Anlass für ein Bild dienen Gedanken, Geräusche, Gefühle, Gerüche und Erlebnisse.
Farben spielen für die Künstlerin nach wie vor eine große Rolle. Sie stellt sich diese vor und ruft sie durch das Malen in ihre Vorstellung zurück. Für ihre Werke nutzt sie Acrylfarben, die sie mit den Fingern, einem Pinsel, Spachtel, Bambusstöcken oder einem Schwamm auf die Leinenwand aufträgt. Die Farben hat sie teilweise mit Brailleschrift beschriftet. Zur Gestaltung der Bilder arbeitet sie auch mit tastbaren Materialien. Bei der Auswahl von Materialien sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Silja verwendet zum Beispiel Sand, Sägespäne, Papier, Holzlamellen und Reis.
Ihre Erfahrung zeigt, dass es besonders wichtig ist, den Arbeitsplatz zu Beginn sehr sorgfältig einzurichten. Alle Arbeitsutensilien, die für ein Bild verwendet werden sollen, sollten im Vorhinein bereitgelegt werden. Während des Malens werden die Finger zumeist mit Farbe bespritzt, so ist die nachträgliche Suche nach Materialien erschwert. Als praktisch erweist sich auch die Nutzung eines Overalls, um die Kleidung nicht mit der Farbe zu verschmutzen.
Heute erachtet es Silja als ihre Aufgabe, Menschen mit Behinderungen zu ermutigen, ebenfalls künstlerisch tätig zu werden und zu malen, denn sie sieht positive Lerneffekte bei dieser Betätigung. Im Gehirn finden bei Menschen durch künstlerische Tätigkeit Vernetzungsprozesse statt. Neben der Kreativität wird auch die Orientierung im Tastbereich geschult. Um ein Bild zu gestalten, ist es wichtig, sich zunächst die Leinwand in ihren Dimensionen zu ertasten und sich Gedanken über die Bildaufteilung zu machen. Aus diesem Grund eignen sich vor allem zu Beginn kleinere Leinwände. Es lohnt sich also in mehrfacher Hinsicht, sich durch Bilder auszudrücken. Silja Korn freut sich über alle, die Interesse an ihrer Tätigkeit haben. Wer neugierig geworden ist und mehr erfahren möchte, kann Siljas Homepage besuchen und ihr auch eine Email unter folgender Adresse schreiben: sk@siljakorn.de

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8. Schul-Erfahrungsbericht eines Studenten mit einer Sehbeeinträchtigung

Erfahrungsbericht von Felix aus Dortmund

 

Ich bin 22 Jahre alt, geboren im Rheinland und lebe jetzt für mein Studium der Sonderpädagogik in Dortmund. In meiner Freizeit mache ich gern Sport, Leichtathletik und Schwimmen und interessiere mich für Musik und Film. Ich treffe mich gerne mit Freunden.

Ich habe ein Sehvermögen von 30 Prozent. In meiner Schulzeit war es immer wichtig, dass der Klassenraum gut beleuchtet war. Es erleichterte mir das Lesen von Texten und Tafelbildern. Außerdem hatte ich immer das Schicksal, vorne in der Klasse zu sitzen. Das begleitet mich jetzt immer noch durch mein Studium. Ich habe gemerkt, dass man für eine gesellschaftliche Integration als Sehbeeinträchtigter sehr offen sein und selbstbewusst mit der Behinderung umgehen sollte. Sonst wird die zwischenmenschliche Kommunikation schwierig und es wird mühsamer soziale Kontakte zu finden. Die Behinderung verlangt von einem viel Organisation. Dies fängt bei der fristgerechten Beantragung der Zeitverlängerung bei Klausuren an und hört bei richtigen Verwendung des Hilfsmittels auf. In der Uni nutze ich viel mein Monokular oder mein IPad, das ich zur Vergrößerung meiner Arbeitsmaterialien brauche. Früher habe ich ab und zu auch Lesesteine benutzt.

Von der Eingangsklasse bis zur Klasse 4 ging ich auf eine Förderschule „Sehen“. Ich wechselte danach auf die Integrative Gesamtschule.

Für meine Mitschüler*innen war es am Anfang in der Klasse 5 ungewöhnlich, dass ich meine Hilfsmittel benutzt habe. Ich hatte damals den Mut selbst zu erzählen, warum ich Hilfsmittel benötige. Aber ich habe sehr positive Erfahrungen gemacht, dass sie mich trotzdem akzeptiert haben, so wie ich bin. Meine Lehrer*innen waren sehr offen für Neues und haben mich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, unterstützt.

In bestimmten Sportarten wie Squash, Badminton oder Basketball konnte ich meine Leistungsbereitschaft und mein sportliches Leistungsvermögen im Sportunterricht nicht präsentieren. Wenn ich nochmal nachgefragt habe, konnte der Sportlehrer mir die Bewegungsabläufe zwar erklären, aber bei den oben genannten Sportarten habe ich einige Male ausprobiert und dann aufgegeben. Die Alternative dazu waren dann Ausarbeitungen über die jeweilige Sportart. Bei einer Sporteinheit ging es ums Fahrradfahren, da habe ich dann ein Tandem geliehen bekommen von der Schule. Hier zeigen sich sehr gut die Grenzen von Inklusion.

 

Klassenarbeiten habe ich immer auf A3 kopiert bekommen. In der Oberstufe haben Lehrer*innen die Textvorlagen so geändert, dass die Schriftgröße angepasst wurde. Mit der 6. Klasse wurde mir als Hilfsmittel ein Laptop zu Verfügung gestellt. Darunter hat meine Handschrift gelitten. Von der 5. bis zur 10. Klasse wurde ich von Sonderpädagog*innen der Gesamtschule betreut, die mich besonders im sozialen Bereich gefördert haben. Ab der Klasse 11 wechselte der Förderstatus zurück an die Förderschule Sehen, die mich dann im GL unterstützt hat. Ich würde es heute noch einmal schulisch so machen. Die Förderschule Sehen hat den Grundstein dafür gelegt, mit der Behinderung selbstbewusst umzugehen und mir wertvolle Techniken mit dem Umgang mit der Beeinträchtigung gezeigt. Die Gesamtschule hatte den Vorteil, dass man alle Abschlüsse machen und bis zur 13. Klasse auf einer Schule bleiben konnte. Als Förderschule wäre ein Internat in Soest die Alternative gewesen.

 

Insgesamt kann ich rückwirkend sagen, dass der Wechsel an eine integrative Gesamtschule das richtige für mich war. Ich habe dort sehr unterschiedliche Menschen kennengelernt, mit denen ich noch weiterhin Freundschaften pflege und habe als Behinderter gelernt, auch auf andere Menschen mit Behinderungen oder andere Mitschüler*innen Rücksicht zu nehmen. Natürlich gab es auch Schattenseiten des Ganzen, aber ich glaube das Positive überwiegt. Ich halte Inklusion für das Richtige, allerdings mit vernünftigen Mitteln!

9. Schul-Erfahrungsbericht einer jungen Frau

Erfahrungsbericht zum schulischen Werdegang

Ich bin 20 Jahre alt und werde in 1,5 Monaten 21. Ich bin mit grauem Star zur Welt gekommen und war dementsprechend blind. Als ich ca. 3 Monate alt war, wurde dies in eines der U-Untersuchungen diagnostiziert und ich wurde daraufhin operiert und bekam künstliche Linsen. Am linken Auge habe ich Strabismus und an beiden Augen Nystagmus. Nach einiger Zeit hatte ich erhebliche Probleme mit meinem Augeninnendruck, welches dazu führte, dass ich grünen Star bekam. Eine Zeit lang war nur mein rechtes Auge betroffen und mit 8 Jahren war es nur noch mein linkes Auge, welches stark betroffen war. Bis zum Ende meiner Grundschulzeit hatte ich zwar immer erhöhten Augendruck, aber ich konnte noch gut sehen und konnte auch immer mal wieder meine Brille abnehmen. Als ich ungefähr 10 Jahre war, war ich andauernd angewiesen auf meine Brille und ab da verschlechterte sich auch meine Sicht. Von Geburt an wurde ich fast jährlich operiert und erhielt auch dementsprechend eine neue Brille. In der Grundschule hatte ich nie Probleme und konnte alles gut sehen. Als ich in die weiterführende Schule kam (Ich besuchte eine Gesamtschule), nahm mein Gesichtsfeld und meine zentrale Sehschärfe ab. Sie beeinträchtigte mich aber noch nicht allzu sehr. Ich konnte in der Klasse dort sitzen wo ich wollte und konnte auch noch gut von der Tafel ablesen. Als ich in die siebte Klasse kam, sprach mich eines Tages meine Lehrerin im Biologieunterricht an und fragte mich ob ich Probleme beim Ablesen der Tafel hätte. Ab da wurde mir bewusst, dass ich überwiegend beim Sitznachbar geschaut habe für das Abschreiben.

Seitdem saß ich immer weit vorne bzw. ich musste immer weit vorne sitzen damit ich ansatzweise erkennen konnte was vorne angeschrieben wurde. Das hatte leider nicht jedem gepasst im Unterricht… Meine Klassenkamerad*innen fingen an sich zu beschweren. Sie fanden es unfair, dass ich einen Platz weit vorne in Anspruch nahm und ich ihnen somit die Chance nahm auch vorne sitzen zu können. Sie verstanden es nicht, dass es notwendig für mich war. Sie glaubten mir nicht, dass ich sehr schlecht lesen konnte. Sie nannten mich eine Lügnerin, weil ich doch die Jahre davor doch auch keine Probleme hatte und jetzt auf einmal schon. Sie haben mir vorgeworfen ich täte das nur um meine Noten zu verbessern und ich könnte doch gut lesen, weil ich mit Arbeitsblättern keine Probleme hatte. Nur mit Plakaten und Tafelschriften. Egal wie ich es ihnen zu vermitteln versuchte, sie wollten mir kein Glauben schenken und es war ein wenig hart für mich. Ich wurde schnell zur Außenseiterin und sie hatten nur ein Grund mehr mich auszuschließen. Selbst wenn die Lehrer*innen versucht haben, es ihnen zu erklären, entstand nur ein weiterer Vorwurf, dass ich doch bevorzugt werde. Einige Lehrer*innen konnten mit diesem Vorwurf nicht umgehen und in ein Paar Fächern musste ich dann hinten sitzen und das hat schon meine Noten beeinträchtigt. Und das nur, weil manche Lehrer*innen nicht damit umgehen konnten. Das Ganze lief bis zu meinem Abschluss so und ich entschied mich dazu mein Abitur an derselben Schule zu machen. Im Abitur hat man es deutlich mehr respektiert, dass ich weit vorne sitzen musste und ich hatte keine Probleme mit meinen Mitschüler*innen. Aber in der 12ten Klasse gab es dann eine erneute Wendung. Bis zur 12ten Klasse hatte ich dennoch jährlich Operationen. Etliche Versuche den Augeninnendruck in den Griff zu kriegen… Ich hatte die Operationen immer in den Ferien, sodass ich die Schule nicht verpasst habe. Aber mit der Zeit nahm natürlich mein Gesichtsfeld immer mehr ab. Mit meinem linken Auge sah ich ab da offizieller Weise noch 20%. Aber trotzdem diente mir mein linkes Gesichtsfeld gar nicht mehr und ich nutzte das linke auch nicht mehr. Mein Kopf ist immer geneigt gewesen, sodass ich immer mit meinem rechten Auge schaute. Der Nystagmus hinderte mich oft daran, aber mittlerweile habe ich ihn viel besser im Griff als zu damals.

Wenn mir jemand in eine bestimmte Richtung zeigte und ich ein Gegenstand sehen sollte, ist der Nystagmus extrem und ich verlor die Orientierung. Manchmal wurde mir davon schwindelig. Alles was links von mir passierte, nahm ich nicht mehr wahr und daher passiert es oft, dass ich täglich Menschen umrenne und sogar bei großem Verkehr Autos übersah. Wenn ich durch die Flure in der Schule lief, bin ich an bekannten Menschen einfach vorbeigelaufen und sie wunderten sich immer warum ich sie ignorieren würde. Dabei hatte ich sie einfach nicht gesehen. Dies sorgte für viel Streit unter Freunden… Im Sportunterricht gab es viel Bewegung und ich bekam es nicht hin zu fokussieren was gerade alles geschieht. Dies hatte zur Folge, dass ich immer wieder und wieder von Bällen getroffen wurde. Ich fiel oft hin, weil ich meine Umgebung nicht mehr wahrnehmen konnte. Wenn wir Federball oder ähnliches gespielt haben, war ich immer die schlechteste. Ich schlug immer daneben, ich habe immer daneben geworfen und es machte mich irgendwann sehr traurig. Bei Teamspielen wurde ich immer als letztes gewählt, weil ich so schlecht war und auch sonst war jede Sportstunde der Horror für mich.

Irgendwann habe ich nur Gründe gesucht, nicht mitmachen zu müssen. Oft bin ich mitten in der Stunde aus der Halle gegangen und habe in den Umkleidekabinen geweint, weil ich nicht verstand was los war. Warum es schlechter wurde. Im Unterricht konnte ich nicht mehr von der Tafel lesen, selbst wenn ich ganz vorne saß. Texte auf Arbeitsblätter waren plötzlich unmöglich für mich. Nichts bekam ich mehr hin und ich verzweifelte. Ich hatte Angst, es meinen Lehrer*innen zu erzählen oder meinen Mitschüler*innen. Ich hatte Angst, dass es so wird wie damals in der SEK I. Eines Tages erzählte ich es meinem besten Freund und er gab mir den Mut es meinen Lehrer*innen zu erzählen, da mein Abitur davon abhängig war. Ich sammelte meinen ganzen Mut und erzählte es meinem Stufenleiter und meiner Stufenleiterin. Dinge änderten sich. Ich bekam Extradrucke wo meine Klausuren und Arbeitsblätter größer gedruckt wurden in jedem Fach. Die Lehrer*innen bemühten sich größer an der Tafel zu schreiben und ich bekam verlängerte Zeit in den Klausuren. Aber irgendwann gab es auch hier Beschwerden. Einige Schüler*innen beschwerten sich, dass ich 30 Minuten Nachteilsausgleich in meinen Klausuren bekam. Einige Lehrer*innen vergaßen oft meine Arbeitsblätter in größer zu drucken und andere wiederum beachteten dies gar nicht erst. Der Sportunterricht war nach wie vor furchtbar und ich bekam vom Arzt die Diagnose, dass meine zentrale Sehschärfe immer mehr abnimmt. Die 12te Klasse war das schlimmste Jahr zu meiner Schulzeit. Mein bester Freund unterstützte mich und versuchte mir immer zu helfen. Er dachte sich Ideen aus um mir im Sportunterricht auszuhelfen. Sowie kleine Glocken an Federbällen damit ich hören kann wo sie hinfliegen. Aber selbst seine Hilfen lassen mich ein Ereignis nicht vergessen.

Ich möchte von einem Geschehen erzählen, welches mich sehr geprägt hat. Mein Stufenleiter hatte Zettel an all meine Fachlehrer verteilt wo die Bedingungen drauf standen damit ich von der Tafel lesen kann und auch von den Arbeitsblättern die man bekam. Er bat mich, dass ich meine Lehrer*innen auf die Zettel anspreche um Fragen zu klären. Ich hatte mit jedem alles abgesprochen und es fehlte noch meine Kunstlehrerin. Es war eine offene Unterrichtsstunde und alle arbeiteten. Sie ging rum und als sie an unserem Gruppentisch ankam, fragte ich sie ob sie den Zettel erhalten hat und ob sie dazu Fragen hätte. Sie bejahte es und schaute mich eine Weile an. Ich fragte sie warum mich so lange anschaute und sie sagte daraufhin „Ich wollte nur sichergehen ob du mich auch siehst“ und sie lachte. Fast alle im ganzen Klassenraum hatte es mitbekommen und sie lachten auch. Selbst mein bester Freund… Sie entschuldigte sich direkt als sie merkte, dass ich keine Reaktion zeigte. Ich musste weinen, fühlte mich verletzt und verließ den Klassenraum. Ich war sehr sauer und traurig. Nicht nur wegen der Lehrerin, sondern weil ich wirklich Hoffnung hatte, dass man mich verstehen wird und man mir helfen möchte und man mir dann diese Hoffnung nahm. Über die restliche Zeit des Abiturs möchte ich gar nicht erst sprechen. Ich will nicht sagen, dass es extrem schwer war, aber es war auch nicht leicht. Ich konnte bis zu dieser Situation relativ gut mit meiner Beeinträchtigung umgehen, aber als dann dieser Vorfall war, habe ich erst wirklich gemerkt wie es ist anders zu sein. Nicht zu sein wie die anderen und dass man schnell missverstanden werden kann. Es fiel mir also ab da sehr schwer damit umzugehen, weil ich auch nicht die nötige Unterstützung unbedingt bekam. Der Umgang mit meiner Beeinträchtigung fiel mir einfacher als ich dann zu studieren begann.

Durch meine Beeinträchtigung hatte ich allerdings keine Probleme Freunde zu finden. Nein sie half mir sogar die wahren unter ihnen zu finden. Denn diejenigen die von meiner Beeinträchtigung wussten und sich deshalb distanzierten, wollte ich auch gar nicht erst in meiner Nähe haben. Und erst recht nicht die Menschen, die regelmäßig Sprüche im Unterricht abließen. Ob es nun in der SEK I war oder in der SEK II. Ich hatte ein paar wenige die immer zu mir gehalten haben und versucht haben mir die Schulzeit angenehmer zu gestalten. Sei es das Vorlesen eines Tafelbildes, im Sportunterricht, das auf mich Aufpassen, wenn wir in Dunkelheit durch die Straßen liefen oder andere kleine Dinge die mir das Sehen erleichterten. Mein bester Freund war das Sehen, dass ich benötigte und er ist eines der entscheidenden Personen die mir halfen mein Abitur zu überstehen. Während alle in meinem Jahrgang ihr Führerschein machten und ich die einzige war die nicht konnte, ermutigte er mich umso mehr, dass ich doch nicht unbedingt einen brauche. Das war sehr hilfreich um mich emotional aufrecht zu halten. Vor allem aber auch, dass er mich oft vergessen ließ, dass ich überhaupt eine Beeinträchtigung habe. Mir war es immer wichtig, dass man es berücksichtigt und respektiert, dass ich nicht gut sehen kann, aber auch, dass man mich dennoch so behandelt wie jeder behandelt werden möchte. Und nicht so als wäre man zerbrechlich und hilflos und 24 Stunden auf Hilfe angewiesen. Das würde ich nie wollen.

Bestimmte Hilfsmittel nutzte ich nicht und ich brauchte es auch nicht. Mir war der Großdruck wichtig und die verlängerte Klausurzeit. Denn wegen meiner verzögerten Wahrnehmung brauchte ich diese Zeit. Sicher wäre es vielleicht einfacher gewesen auf eine Förderschule zu gehen. Aber jetzt war ich schon so lange auf einer Regelschule. Da wollte ich es auch dort zu Ende bringen selbst wenn es schwer war.

Meiner Meinung nach kann man es Schüler*innen deutlich einfacher machen, wenn man mal offener mit solchen Dingen umgehen würde. Ich hatte nämlich den Eindruck, dass meine Schule ziemlich überfordert damit war als ich zusätzlich Unterstützung brauchte und ich finde so sollte es nicht sein. In der Schule wird den Schüler*innen immer vermittelt, dass Mobbing schlecht ist etc. Aber den Schüler*innen sollte auch mal vermittelt werden, dass zum Beispiel nicht jede*r Schüler*in aufen, hören oder sehen kann. Man sollte ihnen beibringen wie man damit umgehen sollte. Und man nicht befremdlich demgegenüber sein muss oder dass man denjenigen wie etwas Zerbrechliches behandelt. Ich finde so würde die Integration von Kindern besser mit Sehbeeinträchtigung gelingen. Es muss nicht immer auf eine schwierige Weise laufen wie bei mir.

10. Schulerfahrungsbericht von Helene (Name geändert)

Heute blind, war ich stark sehbeeinträchtigt im Kleinkindalter. Ich habe eine Grundschule für Blinde und Sehbehinderte besucht, danach in einer Allgemeinen Realschule meinen Abschluss gemacht. Einmal pro Woche kam für zwei Stunden eine Lehrerin von einer Förderschule Sehen. Sie war teilweise mit im Unterricht. Mathe und Kunst waren besonders wichtig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr hilfreich ist, die Mitschüler*innen über die Sehbeeinträchtigung aufzuklären. Die Lehrerin im Gemeinsamen Lernen hat zum Beispiel dafür eine Doppelstunde von der Allgemeinen Schule zur Verfügung gestellt bekommen. Meine Mitschüler*innen mussten dann Simulationsbrillen aufsetzen. Damit sollten sie dann selbst schreiben und durch den Raum laufen, damit sie merken, wie anstrengend der Alltag mit Sehbeeinträchtigung ist und damit sie nicht lachen, wenn ich irgendwo vorlaufe.

Ich habe durch andere Klassen erfahren, dass es auf die Mitschüler*innen, die Lehrer*innen und den Mensch mit Beeinträchtigung selbst ankommt, wie man mit einer Sehbeeinträchtigung umgeht. Ich habe ein recht gutes Selbstbewusstsein. Ich hatte ein Monokular und ein BLG und bin offen damit umgegangen. Ich hatte allerdings auch einen Freund, der sich für seine Hilfsmittel geschämt hat, der wurde gemobbt. Wichtig ist, zu akzeptieren, ich brauche jetzt eine Lupe und kann auch nicht ohne Hilfsmittel von der Tafel ablesen.

Ich kannte mich wegen der Förderschule damit aus, da war der Hilfsmittelgebrauch alltäglich und keine Besonderheit.

An der Regelschule ging es in Kunst um das Fluchtpunktzeichnen, deshalb war eine alternative Herangehensweise für mich wichtig. Auf größeres Papier zeichnen und nicht so filigran. Es war wichtig, dass eine Lehrperson dabei war, die darüber aufklärt, erklärt und Alternativen anbietet. Ich hatte oft Lehrerwechsel, da war das besonders wichtig. Eine coole Kunstlehrerin hat sich dann etwas mit Pappmaché für die ganze Klasse ausgedacht, alle Schüler*innen bekamen Augenbinden (Dunkelbrillen) auf, alle sind „benotet“ und somit verglichen worden. Da habe ich gut abgeschnitten.

In Mathe war der Bereich Geometrie für mich schwierig. Es wurde Wert darauf gelegt, dass meine Rechnungen richtig waren, und der Nachteilsausgleich griff, wenn ich nicht ganz so korrekt gezeichnet habe.

Die Lehrer*innen müssen meiner Meinung nach nicht nur über Behinderung reden, sondern viel anbieten, damit Mitschüler*innen diese verstehen können.

Ich habe vor 10 Jahren meinen Realschulabschluss gemacht. Da war Inklusion noch nicht so fortgeschritten. Alleine schon in bürokratischen Dingen. Mich wollte keine Allgemeine Schule annehmen, als ich mein Fachabitur bzw. mein Abitur an einem Berufskolleg plante. „Wir können die Verantwortung übernehmen“. „Unser Schulgebäude ist ja nicht barrierefrei.“ „Ich habe aber noch so viele andere Schüler*innen, da kann ich es nicht leisten, extra auf weißem Papier Arbeitsblätter ausdrucken.“ Die wollten sich nicht damit auseinandersetzen. Letztlich bin ich an ein Kolleg für Blinde und Sehbeeinträchtigte gegangen. Das war erst mal ungewohnt. An meinem ersten Tag bin ich durch die Schule gelaufen. Da wurde eine blinde Person von Mitschüler*innen ausgelacht, weil sie blind war. Da habe ich gesagt: Wir sind doch alle sehbehindert hier“. Ich hätte nie damit gerechnet, dass in einer solchen Schule sich einige Sehende über die Blinden erheben wollen.

Bei mir hat sich die Sehbeeinträchtigung im Laufe der Zeit zur Blindheit entwickelt. Ich finde, der Druck muss bei akuten Sehverschlechterungen erst mal raus, vielleicht müsste man erst einmal Zeit bekommen, mit der Sehbeeinträchtigung umzugehen. Diesen Umweg über Baustellen habe ich mehrfach gemacht. Manchmal braucht die Familie sogar eher Hilfe als der oder die Betroffene, weil das Kind plötzlich so hilflos gesehen wird. Offenheit ist wichtig, über alles reden. Selbsthilfegruppen, Psychologen.

Geholfen hat mir, dass meine Eltern mit den Lehrer*innen geredet haben. Beide Seiten müssen zusammenspielen und haben sich in meinem Fall dann entschieden, den Druck für je ein Schuljahr herauszunehmen. Dazu gehört eine gewisse Offenheit der Schule. Ich konnte dann den Kontakt zu Mitschüler*innen weiter pflegen, wir haben uns nachmittags getroffen. Eigentlich wollte ich mich bei einer Veränderung des Sehens lieber zurückziehen, aber ich hatte ein paar sehr gute Freunde.

Was ich den Lehrer*innen der Allgemeinen Schule heute mit auf den Weg geben würde?

Ganz gezielt den Schüler fragen, wie er schaut, wie man sich das Sehen vorstellen kann. Fragen, welche Ansprüche er an sein Arbeiten und die Vorlagen aus der Schule hat, alles digital oder große Kopien. Am besten unter vier Augen. Es sollte nicht ständig im Unterricht betont werden, dass man ja Vergrößerungen bekommt. „Ach für dich habe ich ja die Dateien auf dem Stick, weil du siehst das nicht.“ Man will einfach dazugehören, man möchte nicht ständig auffallen. Also sollte es ganz normal sein, dass da jemand sitzt, der blind ist.

Manchmal ist es auch schön, unter Gleichgesinnten zu sein. Also unter Menschen, die auch blind oder sehbeeinträchtigt sind.

Von GL- Lehrern würde ich mir wünschen, dass sie alle aufklären, auch warum sie selbst im Unterricht vorbeikommen. Förderschulen sollten meiner Meinung nach nicht komplett geschlossen werden. Es ist die Frage, ob es der richtige Weg für manche Menschen ist, auf eine Allgemeine Schule zu gehen, wenn sie nicht zu ihrer Sehbeeinträchtigung stehen. Wenn es das Kind nur belastet, wenn eine GL-Lehrerin kommt. Sonst geht das Getuschel los, wenn man das nicht offen handhabt. Die Mitschüler*innen könnten sonst auch den Eindruck bekommen, dass die GL-Lehrerin dem Kind mit Sehbeeinträchtigung in den Unterrichtsfächern und bei den Lösungen hilft.

11. Schulerfahrungsbericht von Hannah

Erfahrungsbericht von Hannah

 

Ich bin immer zur Allgemeinen Schule gegangen, bis zur 10. Klasse war ich im Gymnasium an meinem Wohnort. Danach bin ich gemeinsam mit meiner Zwillingsschwester zum Berufskolleg (Wirtschaftsgymnasium) gewechselt. Eigentlich hatte ich schon mit etwa 14 Jahren das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich habe an der Tafel nicht alles erkennen können oder den Cursor am PC. Mit der Brille konnte kein gutes Ergebnis erzielt werden und der Augenarzt meinte, das könnte auch psychisch bedingt sein.

Erst beim Sehtest zum Führerschein wurde klar, dass ich mich in einer Augenklinik vorstellen sollte. Dort habe ich die Diagnose „Makuladegeneration, Morbus Stargardt“ bekommen.

Für mich war klar, dass ich trotzdem alles in meinem Leben so weitermache wie bisher. „Mit dem Abitur könnte es jetzt aber schwierig werden!“, sagte der Augenarzt damals.

Ich bin dann aber mit meinen Eltern zusammen zur Klassenlehrerin und zum Bildungsgangleiter gegangen. Wir haben denen die Diagnose erklärt und gemeinsam überlegt, wie es weitergehen kann. Die Lehrer*innen an der Schule meinten, ich könne dableiben.

 

Meinen Mitschüler*innen habe ich dann selbst erklärt, wie ich sehe. Die Klassenlehrerin hat mir dafür eine Stunde zur Verfügung gestellt. Ich habe Simulationsbrillen mitgebracht.

 

Ich bekam eine Integrationshelferin (FSJ-Kraft). Sie hat hauptsächlich im Unterricht mitgeschrieben und im Klassenraum und den Fachräumen mit mir zusammen das Laptop und die Tafelbildkamera aufgebaut. Zur Beratung kam stundenweise jemand aus dem Gemeinsamen Lernen von einer Förderschule Sehen. Einige Lehrer*innen, die das alles nicht so verstanden haben, hat die Förderschullehrerin mit mir zusammen beraten. Trotzdem musste ich einigen Lehrer*innen alles immer wieder erklären. Mein Mathelehrer hat bis zum Schluss immer mit einem blauen Stift auf Folie geschrieben. Das konnte ich nicht erkennen. Er hat dann gesagt, er könne nicht an der Tafel schreiben, weil er eine Kreideallergie hätte. Den Kreidehalter, den ich ihm geschenkt habe, hat er glaube ich nur einmal benutzt.

Eigentlich wollte ich so viel wie möglich genauso machen wie alle Mitschüler*innen auch. Gelesen habe ich trotzdem mit Zoomtext am Laptop oder mit Hilfe der Tafelbildkamera. Manchmal habe ich auch Texte von DIN A4 auf DIN A3 vergrößert bekommen, aber wenn Vorlagen schon schlecht sind, nützt das auch nicht viel. Ich hatte irgendwann einmal freiwillig einen Tastschreibkurs gemacht. Aber habe mich in der Schule lange geweigert, am Laptop zu schreiben. Daher habe ich auch keine digitalen Dateien bekommen. Eine Sprachausgabe hatte ich auch nicht. Ich hatte das Fach Betriebswirtschaftslehre mit Rechnungswesen. Da habe ich Tabellen mit vielen Zahlenkolonnen auf Papier bekommen. Das war nicht so ideal. Damals habe ich noch 20 Prozent gesehen, heute studiere ich und sehe noch 5 Prozent, auf einem Auge noch weniger.

In der Zeit bis zum Abitur wusste ich, dass etwas nicht stimmt, aber es wurde nicht herausgefunden. Meine Zwillingsschwester hat es unbewusst gemerkt. Ich habe zum Beispiel nicht gesehen, wenn die Ampel grün war. Mir selber war das nicht wirklich bewusst, dass es an den Augen liegen könnte. Ich glaube, wenn man noch jünger ist, möchte man nicht auffallen. Ich stehe sowieso nicht gern im Mittelpunkt.

Nach dem Abitur habe ich die „Blindentechnische Grundausbildung“ gemacht. Meine GL-Lehrerin hat mich da sehr vorsichtig drauf vorbereitet und mir im Grunde nur den Tipp gegeben, dass das für mich gut sein könnte. Ein Jahr lang nach dem Abitur habe ich die Blindenvollschrift und die Kurzschrift gemacht und mit Jaws gearbeitet. Diese Dinge nützen mir heute sehr in meinem Studium.

Ich hatte auch einige Lehrer*innen, die sind ganz toll mit meiner Situation umgegangen. Sie waren sehr einfühlsam und haben mich gefragt, wie ich arbeiten möchte. Ich fand es blöd, wenn man mir ohne Rücksprache gesagt hat, was ich zum Arbeiten brauche. Es ist meiner Erfahrung nach besser, wenn man mit der Person spricht, zum Beispiel sagt: „Du kannst dich melden, wenn etwas nicht klappt.“ Einige Lehrer*innen haben meine Situation auch komplett ignoriert und haben sich im Unterricht gar nicht umgestellt.

Heute glaube ich, dass gerade an der Universität das Selbstbewusstsein wächst. Irgendwann muss man sich selbst um alles kümmern. Man geht zu den Dozent*innen und sagt was man braucht. Sonst kommt man einfach auch nicht weiter. In der Schule, glaube ich, hat man noch nicht das Selbstbewusstsein dazu. An meiner Uni gibt es auch gute Beratung wegen des Nachteilsausgleichs.

 

Zum Thema Inklusion: Das sehe ich kritisch. Der Grundgedanke ist gut, aber zu einfach gedacht. Man kann nicht einfach blinde und sehbeeinträchtigte Schüler*innen zu den Allgemeinen Schulen schicken und die Lehrer*innen können dann dort gar nicht mit umgehen. Alle Lehrer*innen müssten erst anders ausgebildet werden, bevor man Schüler*innen mit Behinderungen dort hinschickt. Ich finde, für eine*n Lehrer*in sollte es selbstverständlich sein, Rücksicht zu nehmen. Man bräuchte Schulungen zum Thema „Inklusion“. Themen wie „Was muss ich machen, wenn ich ein Kind mit Blindheit in der Klasse habe?“ Man bräuchte auch mehr Sonderpädagog*innen. Bei mir war das so, dass eine Lehrerin nicht wollte, dass ihr jemand in den Unterricht „reinpfuscht“. Alle Lehrer*innen wollten ansonsten aber etwas von meiner GL-Lehrerin. Im Unterricht war sie selten. Es wäre auch nicht so gut gewesen, wenn die GL-Lehrerin neben mir gesessen hätte, also haben wir zwischen den Unterrichtsstunden geredet. Oder sie hat mich in den Nebenfächern aus dem Unterricht geholt. Meine Zwillingsschwester hat manchmal für mich mitgeschrieben. Daher musste ich den Stoff nicht nachholen. Ich war eigentlich gut in der Schule.

Mein Fazit ist eigentlich: Ich würde nicht jede*n Schüler*in in einer Allgemeinen Schule sehen. In der Förderschule hat man auch einen Schutzraum und auch von dort aus kann ein Wechsel auf eine Allgemeine Schule problematisch sein. Am wichtigsten finde ich jedoch ist, wenn Schüler*innen mit Sehbeeinträchtigung oder Blindheit an einer Allgemeinen Schule unterrichtet wird, dass die Mitschüler*innen gar nicht erst komisch gucken. Sondern dass sie sensibilisiert werden. Dass Inklusion nichts Besonderes ist, sondern zur Normalität wird.

12. Schulerfahrungsbericht von Lisa (Name geändert)

Ich werde 27 und bin irgendwo im Rheinland zur Schule gegangen. Es war eine Montessorischule, jahrgangsübergreifend von der 1.-4. Klasse. Ich habe ein Jahr länger gebraucht, weil ich oft im Krankenhaus war. Ich bin nicht gut organisiert, hatte aber engagierte Eltern. Ich wusste immer, wo die Materialien zu finden sind. Vor mir in der Klasse war schon einmal ein Junge mit Blindheit unterrichtet worden. Die Lehrerin war engagiert und die Mitschüler*innen kannten das auch schon. Jeder Erstklässler hatte einen Paten aus der vierten Klasse und bekam Hilfe.

Ich hatte damals auf dem linken Auge seit der Geburt zwischen 2 und 5 Prozent und auf dem rechten einen Grauen Star, Kolobom und Nystagmus. Damit habe ich noch recht gut gesehen, etwa 30 Prozent. Im Laufe der Zeit hat sich ein Glaukom gebildet. Ich habe das eigentlich nie gemerkt. Zusätzlich hatte ich verschiedene Einschränkungen wie Skoliose, das wurde aber erst im Teenageralter gemerkt. Ich kann die Hände nicht so gut bewegen. Ich habe Klumpfüße. Im Sport war das vor allem beim Balancieren schwierig. Mittlerweile trage ich einfach Sportschuhe, wenn ich rausgehe oder Sport treibe.

Von Anfang an hatte ich eine Lehrerin im GL. Irgendwann wurde ich von der zuständigen Förderschule Sehen aus beraten. Einmal die Woche kam jemand raus zu mir an die Schule. In der Grundschule war das hilfreich. Es war immer personenabhängig, ob das gut klappte. Der dritte Lehrer, den ich im GL hatte, hat auch viel die anderen aus der Klasse mit mir zusammen aus dem regulären Unterricht rausgenommen. In der freien Arbeit hat er zum Beispiel mit der Handpuppe gearbeitet und auch mal Blindenschrift beigebracht. Durch den GL waren viele der Materialien barrierefrei. Sport fand ich oft sehr blöd. Ich war ansonsten von den Leistungen her eine gute Schülerin. Ich bin mit vielen aus meiner Grundschule in den weiterführenden Bereich gegangen. Ich war in der Grundschule und beim Übergang noch ziemlich beliebt und happy. Eigentlich wollte ich auf ein Gymnasium, aber die haben mich trotz meiner guten Leistungen nicht genommen, wegen der Sehbeeinträchtigung. 

Am Anfang bin ich unvoreingenommen in die Klasse 5 gekommen. Es hat sich schnell gezeigt, dass ich mich nicht so schminken oder Bravo lesen wollte wie die anderen. Es gab viel Neid wegen der Zeitverlängerung, die ich aufgrund meines Nachteilsausgleiches bekam. In der 6. Klasse habe ich dann endlich eine Freundin in der Klasse gefunden. Wir waren die ganzen Jahre befreundet. In der Klasse war es schwierig, ich wurde ein wenig gemobbt, aber war nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der Mobber. Ich hatte immer Angst, dass die wirklich schlimm gemobbten Leute irgendwann weg sind und dass ich dann dran bin. Ich war eher brav. Manche Mitschüler*innen waren neidisch auf die Aufmerksamkeit, die ich aufgrund meiner Sehbeeinträchtigung bekam. Beim Elternabend kam der Sonderpädagoge und hat erzählt, wie er arbeitet und warum ich Zeitzugaben und Förderung erhalte. Es gab dann Kinder, die sich nicht mit mir anfreunden durften, von ihren Eltern aus. Deren Eltern meinten, ich würde viel Zeit der Lehrer*innen beanspruchen, die ihren eigenen Kindern dann nicht zukommt. Einmal wollten wir Schüler*innen alle in einen großen Freizeitpark, das wollte unser Lehrer jedoch nicht. Die Eltern und Kinder waren daraufhin sauer auf mich, weil sie dachten, das sei meinetwegen. Ab der 8./9. Klasse kam noch ein Mädchen mit uns in unsere kleine Clique, die bei den anderen in Ungnade gefallen war. Von den Lehrer*innen her: die waren sehr bemüht und nett zu mir. Viele waren oft auch verplant. Das war der Klassiker. Die hatten dann keine Vergrößerungen für mich. Ich hatte ein BLG und habe es auch genutzt. Nie so gerne. Ich hatte eine Lupenbrille, die war mein liebstes Hilfsmittel. Das BLG fand ich immer zu klobig. Mit 10 Jahren habe ich damit angefangen, Bücher zu lesen. Bis heute. Lernen ist mir leicht gefallen.

Richtig schlimm war Sport. Irgendwann musste ich mich nur noch mit Aufwärmen. Selbst wenn ich nur mitlaufen musste, war das demütigend, weil ich immer die letzte gewesen. Irgendwelche Schüler*innen, die ihre Turnsachen vergessen hatten, haben dann mit mir andere Sachen machen müssen. Obstsalat zum Beispiel oder andere Spiele auf Schnelligkeit, Reise nach Jerusalem. Sport in Gruppen mag ich gar nicht, seitdem. 

Aus meiner Sicht heute könnte man Sportunterricht so gestalten, dass alle teilnehmen können. Ich finde das nicht gut, weil alle dann wieder auf mich sauer gewesen wären. Die hätten dann nicht alle so Sport machen können wie sonst. Dann muss Sportunterricht sich grundsätzlich ändern, sonst ist es immer von einer Person abhängig. Ich hätte lieber etwas ganz anderes gemacht in der Zeit des Sportunterrichts. Schwimmen. Ich habe mit meinen Eltern geredet, mit den Lehrer*innen eher nicht darüber gesprochen. 

 

Es gab dann eine Phase, wo es schlechter wurde mit dem Sehen. Da musste ich sämtliche Arbeitstechniken umändern. Dann kam ich in ein Internat für Blinde und Sehbehinderte. Mit 17 Jahren war das toll. Es wird einem viel Verantwortung abgenommen. Man wird bekocht, man wohnt in Wohngruppen. Es gab feste Klassen. Im ersten Jahr war ich in der WG für Minderjährige, das ist immer ein Betreuer da. Familiär. Ab der 12. war ich mit einer Freundin und anderen zusammen in einer Selbständigen-WG mit fünf Leuten. 

 

Heute ist schwer für mich, eine Sportart zu finden. Es ist ja auch noch meine körperliche Behinderung dabei. Klettern mache ich gern, mit Leuten, denen man vertraut. Ich kann auch andere absichern. Ansonsten gehe ich gern Wandern. Das mache ich sehr gern immer noch. 

 

Inklusion ist schwierig. Man sollte mehr Wert darauf legen, die Schwächen von anderen Schüler*innen mehr zu besprechen. Es muss klarer sein, dass es nicht eine*n Schüler*in gibt, der eine Schwäche hat, sondern dass jeder eine Schwäche hat.

 

Es sollte ein Mittelding geben zwischen Inklusion und Förderschulen. Dass eine Schule z.B. auf Sehen spezialisiert ist und dass der Großteil in der Klasse normalsehend ist, aber zum Beispiel 4 Schüler*innen mit Sehbeeinträchtigung. 

 

In der zuständigen Förderschule damals gab es Peergroupangebote, die habe ich gerne mitgemacht. Für mich war eher wichtig, dass ich mal andere und ältere Schüler*innen getroffen habe, die auch sehbeeinträchtigt waren. Man kommt mal raus, ist mal nichts Besonderes. Das waren coole Leute. 

 

Was ich den Lehrern mit auf den Weg geben würde: Sensibel sein, nicht zu lange warten, die Möglichkeit von Förderschule beibehalten. Versuchen darauf zu achten, das Klassenklima gut zu halten. An die Schüler: Ohren steif halten. 

 

13. Erfahrungsbericht von Linus

Meine Schulkarriere war zweigeteilt. Bis zur 10. Klasse bin ich auf eine Realschule gegangen. Damals konnte ich noch Fahrrad fahren. Da hatte ich aber schon nur noch 50-40 Prozent Sehvermögen wegen einer Netzhautablösung.

 

Das Ablesen der Tafel klappte noch ganz gut.  Meine Entfernung zur Tafel und entsprechend gutes Licht mussten dafür jedoch vorhanden sein. Das Erkennen von Farben war total problematisch. Die aufklappbaren Flügel der Tafel waren meist auch nicht mehr lesbar. Ich hatte ein Geschwindigkeitsdefizit. Ich konnte nicht so schnell abschreiben wie die Mitschülerinnen und Mitschüler. Ich hatte nicht immer den Mut oder nicht die Lust zu sagen, dass ich noch nicht so weit war. 

 

Ich wusste von den Ärzten, dass ich aufgrund von Netzhautablösung ein vermindertes Sehvermögen habe. Meine Netzhaut ist sehr dünn. Meine Eltern haben mit den Lehrerinnen und Lehrern meiner Schule gesprochen. So etwas wie ein Nachteilsausgleich war nicht bekannt und nie Thema. Eine Möglichkeit wie Gemeinsames Lernen kannten wir nicht. Vor allem der Physikraum und der Chemieraum waren die Vollkatastrophe, da war die Tafel hinter dem Versuchspult und musste hochgeschoben werden. Trotz erster Reihe war Ablesen für mich überhaupt nicht möglich. Auch das Arbeiten am Tageslichtprojektor war beliebt, gerne wurde da auch mit hellen Farben auf Folie geschrieben. Ich habe mich total angestrengt, konnte aber nie etwas erkennen. 

 

Die Lehrer wussten ja Bescheid, aber konnten trotzdem nichts mit meinem Sehen anfangen. Ich habe immer gedacht, wenn die Lehrer wissen, wie ich sehe, aber nichts machen, gibt es wohl auch keinen anderen Weg.

 

Im Nahbereich brauchte ich eine Lesebrille. Ich hatte weder eine gute Sehschärfe noch gutes Gesichtsfeld. Wenn ich vorlesen musste, war ich sehr gestresst, weil ich so langsam war. In den Büchern und Schulheften waren viele Farben. Dunkelblaue Schrift auf hellblauem Hintergrund ging zum Beispiel gar nicht. 

 

In der Uniklinik war eine Sehschule, die Leute dort hatten uns aber gesagt, dass sie nichts mit Schule zu tun haben. Durch Zufall hat das einmal eine Ärztin mitbekommen und hat uns über die Möglichkeit der Beratung in der Beratungsstelle in einem Berufskolleg für Blinde und Sehbehinderte informiert.

 

Dann war für mich die Entscheidung klar, dass ich nach dorthin wechsle. Ich war vorher lange im Krankenhaus, weil sich wieder die Netzhaut abgelöst hatte, wegen des Augendrucks. Danach musste ich mich vom Sehen her komplett neu einstellen. Ich bin eigentlich immer draußen gejoggt und dann ist mir aufgefallen, dass ich plötzlich vermehrt über Sachen stolpere, die ich nicht gesehen habe. Die Operation hatte dazu geführt, dass sich mein Gesichtsfeld verändert hat. Beim Fahrradfahren bin ich dann eines Tages auf der Straße gefahren. Ich hatte das Gefühl, dass ich ganz rechts fahre, aber ich bin wohl komplett in der Mitte gefahren. Gut, dass nichts passiert ist, denn es kam mir ein Auto entgegen, ich habe es erst im letzten Moment wahrgenommen. Nach dieser Erfahrung habe ich das Radfahren aufgegeben. Ich habe mich im Fitnessstudio angemeldet, um dann auf dem Laufband zu trainieren. 

 

Im Berufsbildungswerk für Blinde und Sehbehinderte war das Arbeiten dann für mich eine echte Erlösung. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, ich kann ohne Angst in die Schule kommen. Der Unterricht war so organisiert, dass ich alles mitbekommen konnte. Tafelarbeit gab es selten. Ich habe alles in Papierform bekommen. Mathematische Sachen wurden verbalisiert oder so aufbereitet, dass Lösungswege auf Papier präsentiert und nicht an der Tafel durchgesprochen wurden. Tageslichtprojektoren kamen eigentlich gar nicht zum Einsatz.  Es gab viel weniger Schülerinnen und Schüler in der Klasse. Ich hatte – so wie jeder andere auch – ein Hilfsmittel: ein Bildschirmlesegerät. Es hat einfach plötzlich alles gut geklappt. Allein das Hilfsmittel war ein Riesenvorteil, es gab auch keine Handhabungsprobleme. 

 

In der allgemeinen Schule wusste ich, dass es nicht an mir liegt, sondern an den Umständen, wenn meine Leistungen nicht so gut waren. Die Lehrerinnen und Lehrer haben leider nicht die Verknüpfung hergestellt, dass sie ihren Unterricht umstellen könnten. Beim Tafelbild mitreden und synchron mitsprechen wäre gut gewesen. Mit Pausen. Ich habe immer gedacht, dass es doch Zeichen sind, die sie hätten erkennen müssen. Korrekturen von Mathearbeiten konnte ich nicht erkennen und habe diese dann nicht richtig abgeschrieben, das hätte die Lehrerin doch sehen müssen. Aber da kam nichts, es wurde eine schlechte Note für die Korrektur gegeben. In Englisch hat der Lehrer immer Lückentexte auf den Tageslichtprojektor geworfen und willkürlich Leute drangenommen. Das war immer die schlimmste Stunde, weil ich nicht wusste, ob ich drankomme und das nicht lesen kann.

 

Meine Eltern haben dann mit dem Lehrer gesprochen und erklärt, warum ich so nicht arbeiten kann. Ich wurde nach dem Gespräch dann gar nicht mehr drangenommen, aber ich bekam ja trotzdem nichts mit. Man hätte mir die Lückentexte zum Beispiel in Papierform geben können. Ich hatte keine Möglichkeit, die mündliche Note zu verbessern. 

 

Die Mitschüler wussten alle, dass ich anders sehe. Ich hatte ein Monokular, aber das Arbeiten damit ist so langsam, dass das keinen Sinn machte für mich. Ich hatte einen guten Freundeskreis. In der Disko oder bei Feten nicht zu wissen wo man ist, weil man nachtlind ist, war allerdings keine gute Erfahrung.

Ich habe auch mit einem Kumpel ab und zu für Mathe gelernt. In Geometrie hatte ich noch so viel Sehvermögen, dass ich ganz gut zeichnen konnte, nur das Arbeiten auf Millimeterpapier war schwierig. 

 

Das Schlimme war: ich habe einer meiner Lehrerinnen in der Realschule gesagt, dass ich meine schulische Laufbahn in einem Gymnasium oder einem Berufsbildungswerk für Blinde und Sehbehinderte weiterführen möchte. Da hat die Lehrerin gesagt, dass ich so weit weg wäre von einem Abitur, dass sie sich das nicht vorstellen kann. 

 

Als ich in Klasse 10 war und mein Sehvermögen sich nach der Operation noch verändert hatte, sind wir an einer Förderschule Sehen gewesen und dort beraten worden, was Lineaturen angeht. Die haben dort einen Sehtest gemacht. Das war aber schon kurz vor der Entscheidung, zum Berufsbildungswerk für Blinde und Sehbehinderte zu gehen.  Dort habe ich auf Anhieb die Qualifikation für die Oberstufe geschafft und bin direkt in die Klasse 11 gewechselt und durchs Abitur gegangen. 

 

Ich studiere jetzt und möchte Lehrer am Berufskolleg werden. Es kann dann sein, dass ich Schülerinnen und Schüler berate, die im Lernen oder Sehen Unterstützungsbedarf haben werden. Weil ich andere Menschen davor schützen möchte, dass schlechte Leistungen als schlechte Leistungen abgestempelt werden, ohne Diagnostik zu betreiben. 

 

Was ich mir damals gewünscht hätte?

 

Die Schüler nicht vor der Klasse ansprechen, sondern zur Seite nehmen und ohne voreingenommen zu sein, nach den Bedürfnissen zu fragen. Oder zu fragen, was im Unterricht gut läuft und was nicht, ohne sich in seiner Profession nicht auf den Schlips getreten zu fühlen. Sich nicht zu schade zu sein, vom Schüler Tipps anzunehmen und den Schüler ehrlich sein lassen. Wenn man merkt, da ist ein Problem, dieses nicht vorschnell als Faulheit abzutun und nachzuforschen, woran das liegen könnte. 

Ich saß übrigens im Sportunterricht von der 5. bis zur 10. Klasse auf der Bank. Ich durfte nicht teilnehmen, weil ich ein Attest wegen der Netzhautablösung hatte. Es hätte aber bestimmt in Sport Bereiche gegeben, die ich hätte machen können. Ich saß aber immer auf der Bank. Ich hatte dort keinen Tisch und hätte nicht einmal in der Zeit für andere Fächer lernen können. 

 

Im Nachhinein denke ich: Irgendjemand musste gewusst haben, dass es Möglichkeiten gibt, sich Hilfe zu holen. 

 

Inklusive Settings finde ich super. Aber die Förderschule hat auch Vorteile. Weil unabhängig von allen fachlichen Aspekten ist der Peergroupbezug wichtig. Die Erfahrung zu machen: ich bin nicht der Einzige, der blind oder sehbeeinträchtigt ist. Mal nicht der Einzige zu sein mit Schwerbehindertenausweis.